Samstag, 4. Mai 2013
Ein kleiner Rechenfehler
Die harte Sparpolitik in Europa ist nötig, dies hört man immer wieder. Als Beleg dafür dient eine wissenschaftliche Arbeit, die Kenneth Rogoff und Carmen Reinhard im Jahr 2010 vorgelegt haben. Kenneth Rogoff ist nicht irgendwer: Der Harvard-Professor war immerhin zwischen 2001 und 2003 Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, mithin eine Koryphäe auf seinem Gebiet.

Was sagt nun dieses Paper? Es belegt, dass eine hohe Verschuldung mit einem geringen wirtschaftlichen Wachstum einhergeht. Die Analyse zeigt, dass ab einem Verschuldungsgrad von 90% die Wirtschaft gar nicht mehr wächst, sondern vielmehr schrumpft. Also, so die Folgerung, darf man nicht zu viele Schulden machen, sonst gefährdet man das Wachstum. Oder umgekehrt: Macht keine Schulden mehr, dann wächst die Wirtschaft.

Diese Aussage widerspricht jeder Erfahrung, die man bisher hatte. So macht man die Sparpolitik des Reichskanzler Heinrich Brüning für die lange Rezession in den 1930er Jahren in Deutschland verantwortlich. Aber Rogoffs und Reinhards Aussage wurde willig von den Politikern aufgegriffen, die Südeuropa zum Sparen verpflichten wollten. Schließlich, so die Annahme, muss man dann weniger Geld zahlen.

Doch nun hat man die Arbeit der beiden Koryphäen noch einmal untersucht und kam zu dem Ergebnis: Die beiden können nicht mit Excel umgehen. Mit diesem komplizierten Werkzeug hatten sie nämlich ihre Daten analysiert. Dabei sind ihnen wohl einige Fehler unterlaufen. Abgesehen davon, dass sie die Daten von Ländern, die nicht in ihre Aussage passten, gar nicht erst in die Analyse mit aufgenommen hatten.

Unter dem Strich gibt es keine Korrelation zwischen einem hohen Schuldenstand und einem geringen Wachstum. Die schöne 90%-Regel ist zum Teufel. Was aber unsere Politiker nicht daran hindern sollte, dennoch weiter die Krisenländer zum Sparen aufzufordern.

Denn auch ohne diese Aufdeckung der Rechenfehler war Rogoffs und Reinhards Arbeit nicht das Papier wert, auf dem sie veröffentlicht wurde. Was hatten die beiden Ökonomen getan? Sie hatten Wirtschaftsdaten von verschiedenen Ländern genommen und sie analysiert. Das ist erst einmal ein guter Ansatz, vor allem in der Ökonomie, wirft man dieser Wissenschaft doch vor, sie beschäftige sich mehr mit mathematischen Beweisen als mit der Wirklichkeit.

Bei dieser Analyse kam nun heraus, dass eine Verschuldung von 90% mit Phasen geringen Wachstums bzw. einer Rezession verbunden sind. Daraus zu schließen, dass eine hohe Verschuldung eine Rezession versursacht, ist jedoch nicht gerechtfertigt. Im Sommer ist es ja auch so, dass viele Männer mit kurzen Hosen herumlaufen. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass wir einen warmen Tag haben, weil Männer mit kurzen Hosen herumlaufen. Die Kausalkette dürfte eher andersherum lauten.

Ähnlich dürfte es in diesem Fall sein: Die Wirtschaft lahmt nicht, weil die Verschuldung hoch ist, sondern die Verschuldung steigt, weil die Wirtschaft lahmt und der Staat neue Schulden machen muss. Sparen hingegen schafft kein Wachstum. Und genau das beobachten wir auch in den Südländern: Die Länder sparen - und die Wirtschaft schrumpft in einem nie gekannten Tempo, während die Arbeitslosigkeit auf neue Rekordstände steigt. Letztlich wird man ihnen mit mehr Geld helfen müssen, als man ursprünglich wollte. Wo hatten wir das schon einmal gesehen? Stimmt, in Deutschland, unter Brüning. Doch "history will teach us nothing", wie Sting einmal sang. Und so fordern wir weitere Sparkurse. Schließlich unterstützen uns die Ökonomen dabei, die doch so gerne Wissenschaftler sein wollen.

Vielleicht sollten Ökonomen doch besser davon Abstand nehmen, sich in die Realität einzumischen...
J.E.