Sonntag, 8. Dezember 2013
Verständnisfragen
Papst Franziskus ist immer wieder für eine Überraschung gut. Aber was soll man auch von einem Mann erwarten, der es als erster in der 2000jährigen Geschichte der Kirche gewagt hat, sich nach Franz von Assisi zu benennen, einem Heiligen, der die Armut predigte? Nun hat er sein Apostolisches Schreiben "Evangelii gaudium" (Freude des Evangeliums) veröffentlicht, in dem er ungewohnte Töne anschlägt.

So glaubt Franziskus nicht, "dass man vom päpstlichen Lehramt eine endgültige oder vollständige Aussage zu allen Fragen erwarten muss, welche die Kirche und die Welt betreffen." Auch sollen die Kirchenfürsten auf die Gläubigen hören und sich nicht "überlegen fühlen, weil sie bestimmte Normen einhalten oder weil sie einem gewissen katholischen Stil der Vergangenheit unerschütterlich treu sind". Dem Papst ist "eine 'verbeulte' Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist."

Das sind ganz neue Töne aus einer Kirche, die sich für den Wahrer der ewigen Wahrheiten hält, die von sich behauptet, Stellvertreter Christi auf Erden zu sein und damit das Recht habe, in Gottes Namen zu sprechen. Aus den Höhen des Olymp zurück auf die Erde - es wird interessant sein zu beobachten, wie lange die Kirchenfürsten den Weg des Papstes mitgehen; denn keiner verzichtet gerne auf Privilegien.

Doch gerade das wird nötig sein. Dostojewski behauptete, dass ohne Gott alles möglich sei, dass es keine Moral mehr gebe. Diese Ansicht vertritt auch die Kirche, die sich als Hüterin der Moral versteht, weshalb wir gottlos auch mit unmoralisch gleichsetzen. Doch bei all den Schweinereien, die sich gerade katholische Priester erlaubt haben, muss man sich fragen, ob nicht gerade mit Gott die Unmoral regiert.

Wie wissen wir denn eigentlich, was Gott will? Wir hören es von Propheten, die behaupten, dass sie ihre Aussagen von Gott haben. Die erste Frage muss sein: Können wir den Propheten glauben? Oder behaupten sie einfach nur, mit Gott in Kontakt zu sein, obwohl sie sich alles, was sie predigen, nur ausgedacht haben?

Die zweite Frage ist noch kritischer: Haben die Propheten Gott richtig verstanden? Immerhin ist Gott allmächtig und allwissend, er steht so weit über dem Menschen wie der Mensch über dem Hund. Und können wir behaupten, dass ein Hund uns immer richtig versteht? Es müssen also große Zweifel daran bestehen, dass die Propheten, sollten sie ihre Worte von Gott empfangen haben, diese auch richtig verstanden haben. Das menschliche Gehirn ist einfach nicht in der Lage, die Unendlichkeit Gottes zu begreifen.

Dennoch stellen die Propheten es so da, als kämen ihre Worte von Gott, dabei können sie uns nur ihre Interpretationen der göttlichen Offenbarung mitteilen, letztlich also geben sie ihre Worte als die Gottes aus. Die Worte der Propheten werden zu Gottes Wort - und die Gläubigen sollen das bloß nicht in Frage stellen.

Es ist diese Arroganz, mit der die Propheten der Religion und die Gründer der Kirche sich auf eine Stufe mit Gott stellten, an der die Kirche heute noch krankt. Will die Kirche menschlich werden, dann muss sie sich von Grund auf ändern.

Dafür kann man Papst Franziskus nur viel Kraft wünschen.
P.H.