Freitag, 5. Dezember 2014
Ein Abgesang
Eigentlich hätte es ein Anlass zur Feier sein können: Vor 125 Jahren, im Jahr 1889, war unter Reichskanzler Bismarck in Deutschland die gesetzliche Rentenversicherung eingeführt worden, die erste ihrer Art weltweit, die erstmals auch den Armen der Gesellschaft eine gewisse Grundsicherung im Alter garantierte.

Doch die Situation ist nicht feierlich. Anstatt eine finanzielle Sicherheit im Alter zu bieten, müssen immer mehr Menschen in Deutschland mit Altersarmut rechnen. Die gesetzliche Rente allein, auf die sich viele verlassen, bietet kein sanftes Ruhekissen nach einem Leben voller Arbeit.

"Daher bin ich überzeugt, dass sich künftig nur durch eine Mischung gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge eine angemessene Absicherung im Alter aufbauen lässt", sagte Merkel in Berlin, anlässlich der 125-Jahr-Feier zur Rente. Die gesetzliche Rente vermag nicht mehr zu leisten, was sie einmal leisten sollte.

Doch war der Sinn der Rente wirklich, den Bürgern eine finanzielle Absicherung im Alter zu geben? Als Bismarck die Sozialversicherungen in Deutschland einführte, da lag ihm das Wohl der Arbeiter nicht sonderlich am Herzen. Vielmehr wollte er der immer stärker werdenden Arbeiterbewegung die Mitglieder abspenstig machen, indem er den Staat als soziales Organ etablierte. Das funktionierte zwar nicht, bescherte den Deutschen aber die Kranken- und Rentenversicherung.

Wie schon zu Bismarcks Zeiten, so war es lange die Regel, dass sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber anteilig an den Sozialkosten beteiligten. Doch in der Krankenversicherung ist der Anteil der Arbeitgeber und eingefroren, zukünftige Steigerungen fallen alleine zu Lasten der Arbeitnehmer. Und in der Rentenversicherung senkt man das Rentenniveau immer weiter ab, damit die Beiträge nicht steigen. So wurde das Erfolgsmodell gesetzliche Rente, die die große Depression in den 1920er Jahren und zwei Weltkriege überstanden hat, zu einer kraftlosen Hülle, die selbst in Zeiten des Wirtschaftswachstums nicht mehr stark genug ist, Armut zu verhindern. Die Rente war sicher, bis die Politik sie verstümmelte.

Bismarck wollte mit der Rente die Arbeiter gewinnen. Das scheint heute nicht mehr nötig zu sein. Die Arbeiterbewegung ist schwach und machtlos. Und so fährt man die Errungenschaften des Sozialstaates, die den Arbeiter an die Gerechtigkeit des Staates glauben lassen sollten, immer weiter zurück.

Auf die Schwachen nimmt man keine Rücksicht.
J.E.