Donnerstag, 15. August 2024
Gleichberechtigung ist Benachteiligung
Der alte weiße Mann hat es schwer. Vor wenigen Jahrzehnten noch wurde die Welt in den westlichen Industrieländern nach seinen Bedürfnissen gestaltet. Er bekam die guten Jobs, er durfte alle Entscheidungen treffen, und er war mit seinem Auto die Richtschnur der Verkehrspolitik.

So wurden die Städte nach den Bedürfnissen der Autofahrer gestaltet. Der Verkehr (gemeint ist der Autoverkehr) musste fließen, ob man mit einem Rad durch Stadt kam, ob man als Fußgänger lange an Ampeln warten und parkenden Autos ausweichen musste, war egal. Hauptsache für das Auto war gesorgt.

Doch seit einigen Jahren dreht sich der Wind. Die Geknechteten des Verkehrs proben den Aufstand und wollen Gleichberechtigung. Da platzt den alten weißen Männern der Kragen. Als man in München an der Rosenheimer Straße, eine vielbefahrenen Zufahrtstraße, einen Radweg einführen und dafür die Autostraße beschneiden wollte, sprach sich die CSU gegen diesen Plan aus, weil sie nicht wollte, dass Radfahrer bevorzugt würden. Wohlgemerkt: An dieser Straße hatte es gar einen Radweg gegeben, nur Platz für rasende Autos.

Der rot-grüne Stadtrat setzt sich dann durch, und der Radweg wurde eingerichtet. Er wird heutzutage gerne von Autos zum Kurzzeitparken benutzt.

Diese Entscheidung, Radfahrern auch einen eigenen Weg zuzuweisen, war natürlich eine rein ideologische Entscheidung. Denn alles, was die Rechte des alten weißen Mannes beschneidet, ist eine ideologische Entscheidung. Ihm alle Vorteile zu lassen, ist hingegen unideologisch und rational.

In diesem Sinne fordert die FDP nun, dass man die Innenstädte wieder autofreundlicher machen sollte. Das „wieder“ verwundert. Gibt es denn überhaupt zehn Städte in Deutschland, die als fahrradfreundlich gelten können? Praktisch alle Städte bevorzugen immer noch das Auto. Doch weil man deren Bevorzugung nun durch Gleichberechtigung ersetzen will, schreit der alte weiße Mann auf und fühlt sich benachteiligt. Weil er von seinem Festmahl ein paar Brotkrumen abgeben muss.

München hat sich jahrelang als „Radlhauptstadt“ bezeichnet, bis die Stadt irgendwann verstanden hat, dass es dafür wenigstens ein halbwegs brauchbares Radwegenetz braucht. Dann ließ sie diese selbstgewählte Bezeichnung vor ein paar Jahren fallen und baut nun langsam Radwege aus, damit Radler in München wenigstens gleichberechtigt sind.

Von „radlerfreundlich“ kann nur die Rede sein, wenn man es als Freundlichkeit und Bevorzugung empfindet, einem Bettler ein paar Brotkrumen zu geben. Aber genau so denkt der alte weiße Mann: Gleichberechtigung ist für ihn eine Benachteiligung.
K.M.