Betrügen lohnt sich
Betrügen, so glauben wir doch, ist ein Verbrechen. Wer einen anderen mit der Absicht auf persönliche Bereicherung täuscht, der gehört bestraft. So sieht es zumindest der gesunde Menschenverstand. Aber was weiß der schon von unserem Rechtssystem...

Unsere Richter scheinen hier ein anderes Verständnis zu haben. So führte Heidrun S. den Hilfeverein "Kinder in Not" wie ein Familienunternehmen, dessen Gewinne - sprich Spenden - fast völlig für den eigenen Lebensunterhalt eingesetzt wurden, auch wenn die Homepage des Vereins sich vollmundig mit guten Taten schmückte - die jedoch andere vollbracht hatten. Im Laufe der Jahre veruntreute Heidrun S. mit ihrer Familie knapp 5 Millionen Euro - und wurde dafür dann schwer bestraft: Sie bekam zwei Jahre auf Bewährung und musste eine Strafe von gut 50.000 Euro bezahlen. Das veruntreute Geld musste sie nicht zurückzahlen. Es war ja auch schon alles ausgegeben - wie könnte man es dann noch zurückfordern? Unter dem Strich hat ihr der Schwindel also etwa 5 Millionen Euro eingebracht. Und sie musste noch nicht einmal ins Gefängnis.

Aber nicht nur Einzelpersonen betrügen, sondern ganze Firmen. Man denke nur an die Leiharbeitsbranche. Eigentlich sollte diese ihren Angestellten ja genauso viel zahlen, wie die festangestellten Kollegen in den Betrieben verdienen. Eine Ausnahme war nur möglich, wenn es einen Tarifvertrag mit einer Gewerkschaft gab, der eine Abweichung von dieser Regel erlaubte. Denn, so dachte der Gesetzgeber, welche Gewerkschaft würde denn, abgesehen von wirklichen Notfällen, einer solchen Ausnahme zustimmen?

Aber zum Glück gibt es ja die Christen, die auch noch die zweite Wange hinhalten, wenn man ihnen schon was auf die erste gab. Nur so kann man erklären, wieso die christliche Gewerkschaft CGZP völlig unproblematisch Tarifverträge mit zahlreichen Leiharbeitsfirmen abschloss, in denen Hungerlöhne für die Arbeiter die Norm waren. Dumm nur, dass das Bundesarbeitsgericht im Dezember 2010 dieser Gewerkschaft die Tariffähigkeit absprach, weil sie nun einmal so gut wie gar keine Arbeiter vertrat. Damit waren die Tarifverträge ungültig, die Gesetze galten, und die Arbeiter konnten das ihnen vorenthaltene Einkommen zurückfordern und der Staat die zu wenig gezahlten Sozialbeiträge. Die Leiharbeiterbranche sieht sich nun mit Millionenforderungen konfrontiert - und müsste doch tatsächlich das aufwendig ergaunert Geld wieder zurückzahlen.

Doch was der kleine Spendenbetrüger nicht muss, dass sollen doch auch große Leiharbeitsfirmen nicht müssen. Das scheint zumindest der Wirtschaftsflügel der Union zu denken. Dieser fordert "Vertrauensschutz" für die Leiharbeitsfirmen, die doch im festen Glauben daran, es mit einer echten Gewerkschaft zu tun zu haben, diese Tarifverträge abgeschlossen hätten. Gut, dass seit spätestens 2006 die Tariffähigkeit der CGZP in Frage steht, muss einen Unternehmer ja nicht kümmern. Wie schon die Banken, so scheinen auch die Leiharbeitsfirmen volles Risiko zu fahren - und dann darauf zu hoffen, dass der Staat ihnen schon unter die Arme greift.

Da haben die Neoliberalen doch ausnahmsweise mal recht: Unser Sozialstaat ist wirklich überdimensioniert. Und wenn Ihre Kinder mal nicht wissen, was sie werden wollen: Millionenbetrüger ist ein Job mit Zukunft und ohne jedes Risiko.
P.H.