Arbeitet endlich mehr!
Ökonomen scheinen sich für Auguren zu halten, die die Zukunft vorhersagen können. Und wie bei der Offenbarung des Johannes sind die Zukunftsaussichten für Deutschland seit Jahren eher apoklyptischer Natur. So hat die OECD vor kurzem eine Studie veröffentlicht, nach der Deutschlands Wohlstand in Gefahr ist. So sei das langfristige, durchschnittliche Wachstum hierzulande mit 1,5 Prozenz schon niedrig, mittelfristig drohe es aber, auf 1 Prozent zu sinken. Wir werden alle arm!

Ne, Quatsch, wenn die Wirtschaft noch wächst, dann werden wir auch reicher. Die Mehrheit der Deutschen wird nur deshalb ärmer, weil die Regierung mit ihrer neoliberalen Politik den Zuwachs an Reichtum nicht mehr gerecht an alle Bürger verteilt.

Aber was kann man nach Einschätzung der OECD-Ökonomen dagegen tun, dass die Wirtschaft nur noch marginal wächst? Die Lösung ist einfach: Wir müssen endlich mehr arbeiten. So sollen "mehr Frauen in Beschäftigung und vor allem Vollzeitbeschäftigung" gebracht werden. Um das zu erreichen, solle die "kostenlose Mitversicherung von Ehepartnern, die nicht arbeiten, in der gesetzlichen Krankenversicherung ... abgeschafft werden, das schaffe Anreize für die Ehepartner, ebenfalls zu arbeiten."

Aber nicht nur die Frauen sind faule Säcke, die sich vor der Arbeit drücken, auch unsere Alten sollen endlich mehr arbeiten. "Auch für ältere Arbeitnehmer sollte es attraktiver werden, länger im Beruf zu bleiben. Dafür sei allerdings ein Umbau des Rentensystems nötig: Die Ökonomen empfehlen, dass bei der Berechnung der Rente künftig die letzten Berufsjahre besonders stark zählen sollten. Dann hätten Arbeitnehmer einen Anreiz länger im Beruf zu bleiben, weil sie ansonsten erhebliche Einschnitte bei der Rente befürchten müssten." Von wegen Frührente und dann mit fünfzig auf Mallorca! Das war einmal!

Aber Moment: Ist es nicht so, dass gerade ältere Menschen von Firmen vevorzugt aussortiert werden und dann keinen neuen Job mehr finden? Ist es nicht so, dass der einzige Wachstumsbereich in Deutschland der Niedrigohnsektor ist, wo die Menschen in prekären und zeitlich befristeten Beschäftigungsverhältnisse gerade so um die Runde kommen? Die OCED-Ökonomen unterstellen den Deutschen, dass sie nicht arbeiten wollen, dabei können sie nicht arbeiten, weil es in unserer hochtechnisierten Servicewüste kaum noch ausreichend Jobs gibt. Es ist ja nicht so, dass ein riesiges Angebot an anständig bezahlten Arbeitsplätzen auf eine nicht vorhandene Nachfrage stößt, die man durch Einschnitt im Sozialsystem, durch die man die faulen Schnorrer zum Arbeiten treibt, erhöhen kann. Vielmehr stößt eine große Nachfrage nach guten Jobs auf ein kaum vorhandenes Angebot. In einer solchen Situation auch noch Einschnitte im Sozialsystem vorzuschlagen, ist schon eine ziemliche Frechheit.

Wenn man schon die Zukunft vorhersagen will, dann sollte man sich doch erst etwas mit der Gegenwart bschäftigt haben.
J.E.




tomkin am 18.Feb 12  |  Permalink
OECD-Studien: Reine Lobbyistenpolemik
Die Frage ist ja: was heißt mehr arbeiten? Wenn man, wie OECD-Ökonomen das meistens tun, die Mentalitäten der Völker (bewußt) außer Acht läßt, dann arbeiten wir tatsächlich nicht länger als andere. ABER - und zwar ein ganz großes - das Entscheidende ist ja nicht nur die Arbeitszeit, sondern vielmehr die Effizienz und Produktivität der Arbeit. Berücksichtigt man den Einfluß der unterschiedlichen Mentalitäten der Völker, dann kommen recht schnell andere Ergebnisse zustande. Alleine in Europa sind hier bereits eklatante Unterschiede erkennbar.

Die Aufruf der OECD sollte also nicht lauten, länger zu arbeiten, sondern effizienter. Dann würde ein Schuh draus. Aber das ist eben nicht die Message, die rüberkommen soll.