Der Mythos des freien Handels
Der freie Handel ist das Lieblingskind unserer Ökonomen: Über Angebot und Nachfrage bildet sich im freien Spiel der Kräfte ein fairer Preis für eine Ware oder Dienstleistung. Mischt sich der Staat mit Reglementierungen ein, dann spiegelt der so entstandene Preis die Marktsituation noch nicht einmal ansatzweise wieder - und er ist entweder viel zu hoch oder viel zu niedrig. Soweit die Theorie.

In der Praxis sieht es eher so aus, dass Firmen, wenn sie sich unbeobachtet glauben, blitzschnell Kartelle bilden, um den Preis nach ihrem Gusto festsetzen zu können - und das freie Spiel der der Kräfte durch das Recht des Stärkeren ersetzen.

Oder man erzeugt völlig unverständliche Produkte, wie die Derivate, die die Weltwirtschaft 2008 in die Krise gerissen haben, und verlangt für den Schrott Mondpreise, weil eh niemand versteht, dass er hier nicht wertvolles, sondern nur Müll bekommt.

Der letzte Clou ist es, die Versorgungssicherheit mit Strom in Deutschland aufs Spiel zu setzen, nur um ein paar Euro extra zu verdienen. So haben die Stromhändler nach einem Vorwurf der Bundesnetzagentur Anfang Februar nicht den Bedarf eingekauft, den ihre Kunden tatsächlich benötigt hätten, sondern deutlich weniger. Schließlich war der Strom zu dieser Zeit wegen der Kältewelle in Europa und dem riesigen Bedarf in Frankreich deutlich teurer als sonst. Dieser fehlende Strom musste dann mit der für Notfälle vorgesehenen Regelleistung ausgeglichen werden, die den hübschen Vorteil hatte, dass sie deutlich günstiger zu bekommen war als der Strom an den Strombörsen. Dies hatte zur Folge, dass die Sicherheitsreserve Anfang Februar für mehrere Tage fast aufgebraucht war. Wäre in dieser Zeit ein Kraftwerk ausgefallen, dann hätte es in Deutschland einen großflächigen Blackout gegeben. Aber hätten die Händler sich regulär über die Börse mit Strom eingedeckt, dann hätten sie ja nicht die hübschen Gewinne einfahren können.

Als der Staat noch die Finanzgeschäfte und den Stromhandel kontrollierte, hatte es solche Auswüchse nicht gegeben, bei denen eine Minderheit sich auf den Kosten einer Mehrheit bereichern konnte. Doch jetzt ist der Handel frei.

Es ist nur Schade, dass er sich nicht an die hübschen und mathematisch ausgefuchsten Theorien der Ökonomen hält.
J.E.