Sollen sie uns hassen?
Salah ist Syrer. Als der Krieg ausbrach, war gerade seine kleine Tochter geboren, seine Frau war mit einem weiteren Kind schwanger. Sie wollten nicht weg, doch irgendwann kamen die Bomben immer näher. Die Fanatiker des Islamischen Staates standen vor den Toren der Stadt. Dann sollte Salah zur Armee eingezogen werden, zu einer Truppe, die als Foltertruppe bekannt ist. Da wusste er: Sie mussten fliehen.

Doch wie sollte er seiner schwangeren Frau und seinem Baby die Flucht zumuten? Die Strapazen wären zu groß. Ein Bekannter erzählte ihm, dass Flüchtlinge in Deutschland ihre Verwandten ganz legal nachkommen lassen können. Also beschlossen die Familie, dass Salah alleine fliehen sollte, sich alleine den Strapazen und dem fast sicheren Tod aussetzen sollte, um dann die Familie vor dem Elend in der Heimat zu retten. Deutschland erschien wie ein Paradies. Sie konnten ja nicht wissen, dass die christliche Leitkultur der Deutschen kaum menschlicher ist als das Weltbild des IS.

Salah machte sich auf die Flucht und kam 2015 in Deutschland an. Doch er musste warten, bis er seinen Asylantrag stellen konnte. Da er auch vor dem Militär geflohen war, bestand gute Aussicht, dass er nicht nur als Kriegsflüchtling anerkannt würde, sondern auch als politisch Verfolgter. Nach Monaten konnte er seinen Antrag stellen, doch die Bearbeitung verzögerte sich. Sie verzögerte sich um Monate. Im Jahr 2016 beschloss die Bundesregierung, dass Kriegsflüchtlinge nicht mehr ihre Familie nachholen können. Man fürchtete sich zwar vor dem vielen jungen Männern, die allein geflohen waren, da sie allein auf sich gestellt leicht gewalttätig werden konnten, aber noch mehr schien man sich vor ihren Familien und ihren Kindern zu fürchten. Kinder sollen lieber zu Hause sterben.

Endlich bekam Salah seinen Bescheid: Er war nur als Kriegsflüchtling anerkannt. Nach der neuen Regelung konnte er seine Familie nicht mehr nachholen. Verzweifelt machte sich seine Frau nun selber auf den Weg, mit ihrer kleinen Tochter und dem gerade geborenen Sohn; in den Ruinen des Krieges war kein Leben mehr möglich. Sie gelangten in die Türkei und kamen auf das Boot einer Schlepperbande. Dieses Boot sank, kaum dass es die Küste der Türkei verlassen hatte. Es gab keine Überlebenden.

Salah hat gegen seinen Bescheid Rechtsmittel eingelegt. Es sieht nun so aus, dass er wohl doch als politisch Verfolgter anerkannt wird und seine Familie nachholen könnte.

Doch die hat er nun nicht mehr.

(Nach einem Bericht des ARD-Magazins Panorama.)
K.M.