Systemversagen
Diese Woche war Weihnachten - zumindest für die Spekulanten. Die Europäische Zentralbank senkte den Leitzins auf 0,15% - ein historisches Tief. So billig kamen Banken noch nie an Kredite, um sich zu finanzieren. Das Ziel ist klar: Noch immer leidet vor allem die Wirtschaft in Südeuropa unter den Folgen der Finanzkrise des Jahres 2008. Noch immer kommt bei den Firmen in diesen Ländern kaum Geld an, welches sie dringend für Investitionen brauchen. Und das, obwohl die Zinsen in Europa schon seit Jahren historisch niedrig sind.

Die Logik scheint klar: Die Zentralbank vergibt billige Kredite, damit die Banken das Geld an die Privatwirtschaft weitergeben, die mit dem Geld investiert und damit die Wirtschaft wieder antreibt. Nur die Banken geben das Geld nicht weiter. Sie horten es selber, nutzen es, um zu spekulieren (die Aktienstände erreichen neue Höchststände), und das, was sie nicht im Casino anlegen, bringen sie zurück zur EZB und kassieren dafür auch noch Zinsen. Die sind zwar gering, aber immer noch besser, als das Geld kriselnden Privatunternehmen zu geben.

Das will die EZB nun verhindern. Wird Geld bei der EZB geparkt, dann sollen die Banken nun darauf einen Strafzins von -0,1 Prozent zahlen. Außerdem stellt die EZB 400 Milliarden Euro verbilligtes Geld für die Banken in Aussicht, die die Privatwirtschaft unterstützen. Wobei "unterstützen" schon bedeutet, dass sie in den nächsten Jahren ihr Kreditvolumen an die Privatwirtschaft weniger stark verringern als in den letzten Jahren.

Das System der Zentralbanken geht unter anderem auf eine Idee des englischen Geschäftsmanns Walter Bagehot zurück, der im 19. Jahrhundert lebte. Er stellte sich vor, dass es eine Zentralbank geben sollte, die bei Wirtschaftskrisen, in denen die Privatbanken keine Kredite mehr geben, als "Lender of Last Resort", als Verleiher der letzten Zuflucht, tätig sein solle. Diese Zentralbank sollte die Kredite direkt an die Privatwirtschaft geben, die sie ja brauchte. Doch stattdessen geben unsere Zentralbanken das Geld den Privatbanken - die ja gar keine Lust haben, das Geld an die Wirtschaft weiterzuleiten, wie die EZB nun auch - nach knapp sechs Jahren - festgestellt hat, sondern es lieber nutzen, um auf eigene Kosten zu spekulieren.

Unser Zentralbanksystem gleicht einem Arzt, der seinen Patienten helfen will. Doch anstatt die Medikamente direkt dem Patienten auszuhändigen, überreicht er diese Drogenabhängigen, in dem Vertrauen, dass die all die Schmerzmittel und anderen Stoffe schon in vollem Maße an die Kranken weiterreichen werden.

Dass dies nicht funktioniert, hat die EZB nun endlich verstanden. Doch einen tiefgreifenden Systemwechsel wird es nicht geben. Immerhin sind die Banker diejenigen, die die Politik beraten, wenn es um Geldangelegenheiten geht.

Und welcher Junkie wird schon freiwillig auf seinen Stoff verzichten?
J.E.