Samstag, 15. Dezember 2018
Das Wort des Jahres
Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat das Wort des Jahres gewählt: Es ist „Heißzeit“. Damit wird nicht nur die extreme Hitze in diesem Sommer bezeichnet, sondern es steht allgemein für den Klimawandel, den jeder seit Jahren erlebt – und den dennoch einige leugnen, wie der große Denker Donald J. Trump, der an einem kühlen Tag twitterte: Wo ist er denn, der Klimawandel?

Doch ist „Heißzeit“ wirklich eine gute Charakterisierung unserer Zeit? Beschriebe nicht ein anderes Wort unsere Gegenwart besser? Wie wäre es denn mit dem Wort „Wut“?

Wut der einfachen Menschen, die sich von den Aktivitäten der großen Konzerne und der Eliten abgehängt fühlen; die, obwohl sie ein durchschnittliches Einkommen erreichen, sich in den großen Städten keine Wohnung mehr leisten können und im Alter mit Armut rechnen müssen; die sich von der Politik verlassen fühlen, weil die Reichen immer reicher werden – und bei ihnen kaum etwas ankommt.

Wut der Narzissten und Überheblichen, die sich für etwas Besseres halten, die sich für die Herrscher der Welt halten, die Erwählten, und die dann auf einen Mainstream stoßen, der ihre Genialität und Außergewöhnlichkeit nicht erkennt, weshalb sie die Wut der einfachen Menschen ausnutzen und kanalisieren, um sich dann von dieser Welle nach oben treiben zu lassen.

Wut der Demokraten, die wissen, wie schwer es war, die Menschenrechte und eine demokratische Gesellschaft zu erkämpfen, in der die Bürger nicht einfach der Willkür der Mächtigen ausgesetzt sind, und die es nicht fassen können, mit welche Nonchalance die beiden ersten Gruppen diese Errungenschaft aufgeben wollen.

Die Gesellschaft wird gerade in weiten Teilen von Wut getrieben. Doch die war nie ein guter Ratgeber. Sie errichtet nicht, sie reißt ein. Und das kann uns noch im großen Stil blühen.
K.M.



Freitag, 23. November 2018
Auf die Schwachen!
Was droht uns da schon wieder? Nun sollen wir uns dazu verpflichten, Migranten aufzunehmen! Wir geben unsere staatliche Souveränität auf! Das zumindest, behaupten rechte Kreise, würde geschehen, wenn wir dem UN-Migrationspakt zustimmen.

Natürlich ist das Unsinn. Zum einen ist der Migrationspakt nur eine nicht bindende Absichtserklärung, und zum anderen fordert er, gegen illegale Migration und Schleuser vorzugehen, also genau das zu tun, was eigentlich auch im Sinne der Rechten sein sollte. Doch den Rechten sind Inhalt egal. Hauptsache, sie können wieder gegen die Fremden hetzen. Mehr interessiert sie nicht. Und außerdem bietet die Diskussion um den Migrationspakt eine gute Möglichkeit, von einem anderen Problem abzulenken: Den Betrug von Spekulanten am Staat. Die Spekulanten haben zahlreiche Möglichkeiten gefunden, sich Steuern erstatten zu lassen, die sie nie gezahlt haben. Eine Möglichkeit nennt sich Cum-Ex, hierbei werden Aktien um den Stichtag der Dividendenzahlung so oft hin und her verkauft, dass niemand weiß, wer sie beim Zahlen der Dividenden wirklich besaß – und so melden sich mehrere „Besitzer“, um sich die nie gezahlten Steuern erstatten zu lassen. Bei einer anderen Masche, die die Süddeutsche Zeitung gerade aufgedeckt hat, nutzt man dafür „Phantomaktien“, also Aktien, die nie wirklich existiert haben.

Bei diesen Betrügereien, die über Jahre durchgeführt wurden, geht es nicht um ein paar tausend Euro, wie im Fall einer Migrantenfamilie. Es geht um Milliarden. Wo ist hier der Aufschrei der Rechten und die Forderung, diesen Verbrechern endlich das Handwerk zu legen?

Ach nein, das widerspräche dem Erfolgskonzept der Rechten: Sich mit den Starken verbünden und auf die Schwachen einschlagen.
J.E.



Freitag, 16. November 2018
Pressefreiheit unter Beschuss
Man kennt das von Diktaturen: Wer dort eine kritische Meinung veröffentlicht, muss damit rechnen, eingesperrt zu werden – wenn man nicht gleich getötet wird. Eine andere Masche, um die Kritik zu töten, besteht darin, kritische Medien zu verbieten oder sie von Unternehmen aufkaufen zu lassen, die dem Diktator freundlich gesonnen sind, so dass die Medien in Zukunft jede Kritik unterlassen.

All das können wir in Diktaturen wie Kuba und China erleben, aber auch in scheinbar demokratischen Ländern wie Polen, Ungarn, der Türkei oder Russland. Niemand mag es, kritisiert zu werden, und wenn keine demokratischen Kräfte im Wege stehen, dann sorgt man auch dafür, dass jede Kritik unterbleibt.

Auch in eigentlich stabilen Demokratien versucht man, sich der Kritiker zu entledigen. Das mdr-Magazin Fakt hat Eden 2015 über die Gefährlichkeit des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat berichtet. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vertrat immer die Ansicht, dass Glyphosat unschädlich ist, weshalb es die Empfehlung aussprach, die Zulassung in der EU zu verlängern.

Fakt war nun an interne Dokumente des BfR gekommen, die belegten, dass das BfR Befunde, wie krebsverursachend Glyphosat ist, heruntergespielt hatte. Tatsächlich ist Glyphosat gefährlicher als vom BfR behauptet – und das BfR weiß dies. Damit sich die Zuschauer ein eigenes Bild machen konnten, veröffentlichte der mdr diese Dokumente auf seiner Internetseite.

Das BfR verklagte daraufhin den mdr wegen Urheberrechtsverletzung. Die Veröffentlichung von BfR-Dokumenten würde das Urheberrecht des BfR verletzen und sollte unterbleiben. Tatsächlich bekam das BfR vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Köln Recht, und der mdr musste die Dokumente und den Mitschnitt der Sendung von seiner Internetseite entfernen. Das Verfahren kostete das BfR knapp 80.000 Euro Steuergelder – Gelder, die ein staatliches Institut ausgab, um Beweise dafür verschwinden zu lassen, dass es die Steuerzahler belogen hatte. Der Chef des BfR sollte ohne Pensionsansprüche seinen Hut nehmen. Erschreckend ist aber, dass ausgerechnet staatliche Bedienstete eine Hintertür geöffnet haben, mit der nun die Pressefreiheit eingeschränkt werden kann. Wer aus den Dokumenten eines Whistleblowers zitiert, muss nun damit rechnen, wegen Urheberrechtsverletzung verklagt zu werden. Es soll ja schließlich niemand so genau nachsehen. Es bleibt zu hoffen, dass höhere Instanzen diesem Unsinn ein Ende setzen.
P.H.



Donnerstag, 1. November 2018
Wer Deutschland nicht liebt…
…soll Deutschland verlassen. Diesen Slogan verbreiten Rechtsextreme und Neonazis, und sie meinen damit, dass all diejenigen, die nicht gegen Ausländer sind, die das Fremde nicht hassen, Deutschland nicht lieben könnten. Die Liebe der Rechtsextremen ist eine selbstsüchtige Liebe, die nur ihren eigenen Vorteil sucht, die fordert, statt zu geben.

Doch abgesehen davon, dass die Rechtsextremen ein merkwürdiges Verständnis von Liebe haben, schauen wir uns doch mal an, wie die großen Vorbilder der Rechtsextremen nach ihren eigenen Maßstäben abschneiden würden. Nehmen wir Friedrich den Großen, den sich schon Adolf Hitler zum Vorbild nahm, und dann natürlich Adolf Hitler selber.

Friedrich der Große herrschte im 18. Jahrhundert über Preußen und machte aus dem kleinen Königreich eine europäische Großmacht. Bemerkenswert ist nur: Die Preußen kommen ursprünglich aus einer Gegend östlich von Danzig, das Herzogtum war ein Teil Polens, kurz: Die Preußen sind Slawen. Während des Wiener Kongresses, der 1815 nach dem Sieg über Napoleon eine Neuordnung Europas versuchte, wurden die Preußen auch noch als slawisches Volk geführt. Deutsch war an ihnen allenfalls die Großmannssucht.

Aber liebte Friedrich der Große wenigstens Deutschland, auch wenn Wurzeln Preußens nicht deutsch sind? Nun, zumindest die deutsche Sprache hielt er für eine schreckliche Sprache. Er selber sprach deutsch nur mit seinen Pferden, sonst parlierte er auf französisch, einer, wie er meinte, zivilisierten Sprache. Wer Deutschland nicht liebt…

Adolf Hitler sah sich in der Tradition Friedrich des Großen (auch wenn der darüber vielleicht gar nicht glücklich gewesen wäre). Mit seinen Taten brachte er Unglück über ganz Europa, weil er sich Vorteile für Deutschland erhoffte. Auf den ersten Blick scheint der damit die „Liebe“ der Rechtsextremen zu leben. Doch als Hitlers wahnwitziger Krieg sich dem Ende neigte, da zeigte Hitler, was er wirklich über die Deutschen dachte: „Die Deutschen haben es nicht verdient zu überleben.“

So sieht wahre Liebe aus.
J.E.



Samstag, 20. Oktober 2018
Wenn jeder an sich denkt…
Unser Arbeitsminister Olaf Scholz musste sich diese Woche einige Kritik anhören für seinen Vorschlag einer europäischen Arbeitslosenversicherung . Die Deutschen müssten dann für die Arbeitslosen in anderen Ländern zahlen, hieß es. Und es schwang der Unterton mit, der uns seit einiger Zeit in Europa immer beliebter werden ließ: Wir Deutschen sollen für das faule Pack in anderen Ländern blechen.

Nun, erst einmal sollte man tief Luft holen und Scholz Vorschlag einmal durchlesen, anstatt seine Kritik am Begriff „europäische Arbeitslosenversicherung“ festzumachen. Denn tatsächlich will Scholz das gar nicht. Ihm schwebt eine Rückversicherung für europäische Arbeitslosenversicherungen vor. Aber schon vier Wort sind zwei zu viel, als dass Populisten diese Informationsflut noch verarbeiten könnten.

Die Rückversicherung soll nur in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eingreifen, sie soll dann Kredite an eine nationale Arbeitsversicherung geben, damit diese ihre Leistung aufrechterhalten kann ohne die Beiträge erhöhen zu müssen, was die Wirtschaft ja noch zusätzlich belasten würde. Geht es der Wirtschaft dann wieder besser, müssen die Kredite zurückbezahlt werden. Wir Deutschen zahlen also für die „europäische Arbeitslosenversicherung“ so, wie wir für Griechenland zahlen: Wir geben Kredite und verdienen uns mit dem Zinsen dumm und dämlich. Ist das nicht eine schöne Solidarität? Nein, einigen ist selbst dies zu viel.

Dabei gilt der eiserne Grundsatz der Diplomatie: Man sollte nie eine Politik aus einer momentanen Situation der Stärke betreiben. Momentan floriert die Wirtschaft, doch Ende der 1990er Jahre, zum Ende der Ära Kohl, galt Deutschland als „kranker Mann Europas“. Und wenn US-Präsident Trump Zölle auf Autos erhebt, dann trifft das vor allem Deutschland – und wir sind dann auf die Solidarität der anderen EU-Mitglieder angewiesen.

Es könnte also nicht schaden, wenn wir uns auch ein bisschen solidarisch zeigen würden, und nicht eine Politik betreiben nach dem Motto: Wenn jeder an sich denkt, dann ist an alle gedacht.
K.M.



Samstag, 22. September 2018
Dialektischer Brexit
Diese Woche war das Treffen der Staats- und Regierungschefs in Salzburg. Die Hoffnung war, dass es endlich einen Durchbruch in den Brexit-Verhandlungen geben würde. Doch tatsächlich tat sich nichts. Premierministerin May beharrte auf ihren Positionen und beklagte, dass die EU sich nicht bewege. Dabei hatte die EU schon vorher klargemacht, welche Grenzen nicht überschritten werden dürfen. Doch Großbritannien hat das nicht gestört.

Mays Kommentare klingen erst einmal beleidigt, weil die EU nicht nach ihren Regeln spielen will, obwohl seit Thatcher das als fair gilt, was den Briten zum Vorteil gereicht. Damit waren sie den USA um Jahrzehnte voraus, wo Trump erst heute tönt, dass die Welt sich fair verhalten solle – und damit zum Vorteil der USA.

Doch tatsächlich scheint May dem Irrtum erlegen, Hegels Dialektik sei mehr als nur ziemlich dummes Geschwätz. Hegels Meinung nach bildet jede These ihre Antithese aus, die zusammen in eine neue Synthese fließen. Hegel schlug vor, dass dies der Weg der Erkenntnis sei – schließlich beschäftigte er sich mit der Metaphysik, die prinzipiell nicht der Erfahrung zugänglich ist. In einem solchen Bereich können These und Antithese ruhig zugleich gelten.

Doch selbst wenn dies möglich wäre, dass eine Aussage und ihr Gegenteil zugleich „richtig“ oder „wahr“ sein könnten, dieser Weg wird nie zur endgültigen Wahrheit führen, denn die Synthese wird zur neuen These, die wieder eine Antithese generiert, um immer so weiter. Dieser Prozess der Dialektik wird nie ein Ende erreichen. Doch May hat nicht unendlich viel Zeit.

Vielleicht sollte May, nachdem sie über ein Jahr gebraucht hat, um überhaupt einen Vorschlag zu unterbreiten, endlich pragmatisch an die Lösung des Problems gehen, statt dialektische Spielchen zu treiben. Für ihren Pragmatismus waren die Briten schließlich mal berühmt.

Für Fairness, die allen zugleich zum Vorteil gereicht, jedoch auch.
P.H.



Freitag, 7. September 2018
Haben wir wirklich keine anderen Themen?
Schon wieder ein Aufreger um Flüchtlinge und die rechten Trolle. Im Chemnitz wurde ein Mann getötet. Die Rechten nutzten dies, um wieder gegen Flüchtlinge und die Regierung zu demonstrieren, denn der Tat verdächtigt sind zwei Flüchtlinge. Die Rechten umfasst Neonazis und Rechtsextreme bis zur AfD, die gut miteinander auskamen.

Aber nicht nur am ganz rechten Ende wird der Tod des Mannes für politische Zwecke missbraucht. Der Ministerpräsident Sachsen äußerte Verständnis für die Rechten, die randalierend durch Chemnitz gezogen waren. Und auch der Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU, zeigte sich verständnisvoll. Und er kannte den wahren Schuldigen für all die Unruhe: „Die Migration ist die Mutter aller Probleme.“

Das ist mal eine klare Aussage. Dass immer mehr Menschen in Altersarmut landen werden: Es liegt an den Flüchtlingen. Dass die sozialen Leistungen für die Armen beschnitten werden: Es liegt an den Flüchtlingen. Dass man die Steuern für die Reichen senkt: Es liegt an den Flüchtlingen. Dass viele Menschen in den Großstädten keine bezahlbare Wohnung mehr finden: Es liegt an den Flüchtlingen. Dass die Löhne gerade für die ärmeren Schichten im Land stagnieren oder sinken: Es liegt an den Flüchtlingen.

Nein, das liegt nicht an den Flüchtlingen. Es liegt an einer neoliberalen Politik, die in Deutschland wie in vielen anderen Industrieländern in den letzten Jahrzehnten betrieben wurde – und die gerade Parteien wie die AfD verstärkt fortsetzen wollen. Als die Flüchtlinge kamen und mit den Armen in einen Wettbewerb um die Brosamen eintraten, da wurde offensichtlich, wie groß die Probleme in diesem Land tatsächlich sind, in dem immer mehr Menschen von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt werden.

Doch sollte man daran etwas ändern? Sollte man den Reichen höhere Steuern auferlegen und die Sozialleistungen für die Armen stärken? Das will keine rechte Partei, schon kein AfD, wie sie in ihrem Parteiprogramm deutlich schreibt. Nein, die Politik soll sich nicht ändern, man sucht aber nach Sündenböcken – und die hat man nun in den Flüchtlingen gefunden.

Ihr Erscheinen ließ deutlich werden, wie groß die Schere in Deutschland nun ist. Anstatt dies zu ändern, will man lieber den Überbringer der schlechten Nachricht töten.
J.E.



Freitag, 24. August 2018
Die Frechheit darf nicht siegen
Eine Demonstration der Pegida, der Vereinigung der Menschenhasser, hat es diese Woche mal wieder in die Schlagzeilen geschafft. Ein Demonstrant hat sich während der Demonstration in Dresden penetrant vor die Kamera eines ZDF-Teams gedrängt und die Journalisten dabei widersinnigerweise aufgefordert, sie nicht mehr zu filmen, das sei illegal. Dann rief er die Polizei, die die Journalisten 45 Minuten festhielten, ohne dafür eine Begründung geben zu können. Wahrscheinlich legte sie sich lieber mit friedfertigen Journalisten an als mit aggressiven Pegida-Demonstranten.

Diese Szene erinnert an eine Szene aus der Serie „Die Simpsons“. Der Rowdy Nelson packt einen schwächeren Schüler am Arm und bewegt den Arm so, dass der schwächere Schüler sich selber ins Gesicht schlägt. Dann fragt er: „Warum schlägst du dich selber?“ Schlag – Warum schlägst du dich selber?

Man hat den Eindruck, dass spätestens seit der Wahl Trumps zum Präsidenten die Rowdys in den Demokratien wieder Oberwasser bekommen. Sie faseln von „Recht und Ordnung“, doch sie meinen nur ihr Recht des Stärkeren. Und der Staat steht dem hilflos gegenüber. Er weiß, wie er mit Attentätern umgehen soll, mit Mördern, mit Vergewaltigern, mit Dieben. Mit all dem kennt er sich aus. Doch Menschen, die permanent lügen, die andere schikanieren und beleidigen, die keine moralischen Scham mehr kennen, diesen Menschen steht er wehrlos gegenüber. Wer moralisch völlig verkommen ist, wer mit einer gnadenlosen Frechheit vorgeht, so die Botschaft von Trump und aus Dresden, der kommt mit allem durch.

Doch überlässt man den Staat den Frechen, dann fällt er auseinander. So etwas überlebt keine Gesellschaft. Deshalb darf die Frechheit nicht siegen.
J.E.



Samstag, 28. Juli 2018
Ja zum politischen Anstand
Am 22. Juli hatte die CSU einen schweren Tag. Mindestens 25.000 Demonstranten hatten sich in München unter dem Motto „#ausgehetzt“ eingefunden, um gegen Rechtspopulismus und vor allem die CSU zu demonstrieren. Die CSU hatte in den Wochen vorher eine unnachgiebige Linie gegen Flüchtlinge verfolgt, hatte Asylanten als Asyltouristen bezeichnet (als gleiche eine Flucht einem Flug zum Ballermann) und für hartes Durchgreifen an den Grenzen plädiert. Sie hatte im Streit mit der CDU sogar eine Frist gesetzt, wie ein dahergelaufener Erpresser.

Erstaunlicherweise fällt so viel Skrupellosigkeit einer christlichen Partei bei der Bevölkerung auf Unverständnis. Und die CSU regiert beleidigt. Sie ließ Plakate anbringen, auf denen sie forderte „Ja zum politischen Anstand, Nein zu ausgehetzt“, so als ließe die Demonstration gegen die heilige CSU nun jeden Anstand vermissen, obwohl die CSU schon seit Wochen bewies, dass ihr politische Anstand völlig egal ist. Wie man bei der AfD gerne sagt: Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Und die CSU lebte dies.

Sie wollte damit die Wähler zurückgewinnen, die zur AfD gelaufen waren. Doch die letzten Umfragen zeigen, dass dies nicht gelungen ist. Im Gegenteil: Wenn eine Partei, die eigentlich zu den staatstragenden gehört, nun genauso hetzt, wie die AfD dies seit Jahren tut, dann kann die AfD ja gar nicht so schlimm sein. Die CSU hat die Politik der AfD verharmlost – und die AfD damit wählbar gemacht. Politischer Anstand ist wichtig, gerade in Zeiten, wo der rechte Mob gewählte Politiker beleidigt, bedroht, beschimpft und sogar physisch angreift, und das nur, weil diese Politiker es wagen, sich menschlich zu verhalten, was für den rechten Mob eine nicht mehr vorstellbare Verhaltensweise ist. Doch die CSU hat jede Glaubwürdigkeit verspielt, sich als Bewahrerin des politischen Anstands zu präsentieren.
J.E.



Samstag, 14. Juli 2018
Die Fremden mögen wir nur in der Fremde
Sie wurden gerettet. Alle zwölf Jungen und ihr Trainer, die sich vor über zwei Wochen in einer Höhle in Thailand verlaufen hatten, konnten gerettet werden. Die Welt hat mitgefiebert, Spezialisten kamen aus aller Welt, um die Rettungskräften in Thailand zu unterstützen. Es dauerte Tage, bis man alle Jungen durch die über vier Kilometer Höhle an die Oberfläche gebracht hatte, aber schließlich war es geglückt. Alle Welt bejubelt die Retter.

Im ersten Halbjahr 2018 sind derweil über 1000 Flüchtlinge bei dem Versuch ertrunken, über das Mittelmeer Europa zu erreichen. Man muss diese Zahl aber schon suchen, wenn man sie finden will. Sie wird nicht wirklich an die große Glocke gehängt. Und die Zahl wird steigen. Denn die Mittelmeerländer verbieten den Rettungsschiffen der Hilfsorganisationen immer öfter, ihre Häfen anzulaufen, und wenn sie dies doch tun, dann werden die Schiffe beschlagnahmt.

Die Flüchtlinge sollen gefälligst zu Hause bleiben. Und wenn sie das nicht tun, dann können sie bei dem Versuch, Europa zu erreichen, auch ruhig ertrinken. Mit denen haben wir kein Mitleid. Im Gegenteil: Wir freuen uns, wenn sie endlich unser Land verlassen, wie Bundesinnenminister Seehofer, der sich freute, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Menschen nach Afghanistan abgeschoben wurden. Was für eine schöne Geste der Ausländerbehörden!

So ist das halt in einem christlichen Land. Wir sind mitfühlend, wir sind hilfsbereit, aber nur, wenn die Armen nicht auf die dumme Idee kommen, uns aufzusuchen, um unsere christliche Nächstenliebe zu testen; denn nur in der Fremde mögen wir die Fremden.
J.E.