Wem kann man noch trauen?
Nun also der Mindestlohn. Obwohl wir dank der Zeitumstellung am letzten Oktoberwochenende ungewöhnlich ausgeschlafen waren, glaubten wir doch zu träumen, als wir in den Nachrichten hörten, dass unsere Bundeskanzlerin sich nun für
die Einführung eines Mindestlohns in Deutschland einsetze. Ausgerechnet Frau Merkel! Als im Jahr 2008, zu Zeiten der großen Koalition zwischen SPD und Union, schon einmal die landesweite Einführung eines Mindestlohns diskutiert worden war, da hatte Frau Merkel sich dagegen ausgesprochen. "Wir glauben, hier würden wir Barrieren aufbauen, wo Menschen sonst den Einstieg in einen Aufstieg für ihr Leben finden könnten",
wie sie damals sagte.
Mindestlöhne, so das allgemeine Credo, kosten Arbeitsplätze. Gut, wissenschaftlich wurde das nie nachgewiesen, im Gegenteil wo immer man Mindestlöhne eingeführt hat, da kam es
nicht zu dem befürchteten Arbeitsplatzabbau. Ein besonders überzeugendes Experiment wurde vor einigen Jahren in Florida durchgeführt. Im Jahr 2004 lag der landesweite Mindestlohn in den USA bei $5,15. Bei einer Abstimmung in Florida stimmten die Wähler für eine Anhebung des Mindestlohns auf $6,15 und legten außerdem fest, dass der Mindestlohn jährlich automatisch mit der Inflation steigen solle. Wieder hatten die Experten vor großen Arbeitsplatzverlusten gewarnt – doch man musste feststellen, dass sich diese auch ein Jahr nach Erhöhung des Mindestlohnes einfach nicht einstellen wollen. Stattdessen hatte Florida 248.000 neue Jobs geschaffen, während die Arbeitslosenrat auf ein 30-Jahrestief fiel.
Aber selbst empirische Beweise, dass ein Mindestlohn keine negative Auswirkung auf die Beschäftigtenzahlen hat, hindern einen Politiker natürlich nicht daran, felsenfest vom Gegenteil überzeugt zu bleiben.
Ein bisschen erinnert das an die Diskussion um die Atomenergie. Seit Jahren wussten alle, dass die Atomenergie eine riskante Technologie ist, bei der es zu schweren Unfällen kommen kann, seit Jahren wusste man, dass die Frage der nuklearen Endlagerung völlig ungeklärt ist, und so schnell auch nicht geklärt würde - und dennoch hatte Frau Merkel beschlossen, dass die Atomenergie eine zukunftsträchtige Technologie sei, weshalb die schwarz-gelbe Bundesregierung aus dem von rot-grün beschlossenen Atomausstieg ausstieg. Dann kam die Katastrophe von Fukushima, und plötzlich sah alles ganz anders aus. Schneller noch als sogar rot-grün dies vorgesehen hatte, wurden die ersten Atomreaktoren in Deutschland abgeschaltet.
Man kann ja verstehen, dass Politiker ihre Fahne nach dem Wind drehen, um bei der nächsten Wahl die Chance zu erhöhen, wiedergewählt zu werden. Doch sowohl im Fall der Atomenergie als auch im Fall der Mindestlöhne hat uns die Regierung von Frau Merkel überzeugende Argumente vorgelegt, die gar keinen anderen Schluss zuließen, als das die Atomenergie eine zukunftsfähige Technik ist und ein Mindestlohn völliger Unsinn. Man hat ihren Worten vertraut. Und jetzt vertraut Frau Merkel ihren eigenen Worten nicht mehr.
Wie soll man aber unseren Politikern noch vertrauen, wenn sie sich sogar selber nicht mehr vertrauen?
P.H.
red horse am 01. November 11
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Privatsphäre - für die richtigen Bürger
Da war die Aufregung diese Woche groß: Wie der Chaos Computer Club mitteilte, setzt die Polizei doch tatsächlich sogenannte Trojaner ein, kleine Computerprogramm, die unbemerkt Informationen über den infizierten Computer nach außen kommunizieren. Man kennt so etwas schon vom Banking: Trojaner wurden gerne von Kriminellen eingesetzt, um die Zugangsdaten auszuspähen. Nun späht auch der Staat. Das darf er unter bestimmten Bedingungen auch, wenn es darum geht Verbrechen aufzuklären.
Nur konnte der "Bundestrojaner" wohl deutlich mehr, als die Polizei erlaubt. So fertigte er alle paar Minuten einen Screenshot an und überwachte auch die Tastatureingaben. Zudem ermöglichte es der Bundestrojaner, andere Programme einzubinden, die die Kamera oder das Mikrofon des Rechners aktivierten und so eine Überwachung des Raums ermöglichten, in dem sich der Rechner befand.
Da dieses illegale Vorgehen unserer "Sicherheitsbehörden" nun öffentlich geworden war, musste man etwas tun. Und so beschloss der Innenminister Bayerns - hier war der Trojaner am häufigsten eingesetzt worden - die Nutzung dieses Programms bis auf weiteres einzustellen. Man wolle das Ergebnis der
Prüfung durch den bayerischen Datenschutzbeauftragten abwarten.
Nun gut, könnte man meinen, staatliche Behörden haben Mist gebaut, das wurde aufgedeckt, die Behörden halten sich jetzt zurück, und alles ist wieder in Ordnung, die Demokratie funktioniert, sie schützt die Privatsphäre des Menschen.
So könnte man meinen, wenn nicht Report Mainz in seiner Sendung vom 11.10.2011 über
die geplante Änderung des Beschäftigtendatenschutzgesetzes berichtet hätte. Da der Bundestrojaner die Gemüter so erhitzte, ging diese Meldung im Blätterwald unter und erreicht im Google News kaum 10 Treffer, während der Bundestrojaner spielend auf einige Tausend kommt.
In der Vergangenheit gab es bei der Telekom und der Deutschen Bahn Vorfälle, wo Verbindungs- oder Kontendaten von Mitarbeitern abgeglichen wurden. Bei anderen wie dem Discounter Lidl wurden die Mitarbeiter gleich per Video überwacht. All diese Aktionen waren verboten oder spielten sich im rechtlichen Graubereich ab. Um jetzt Klarheit zu schaffen, was sich ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern gegenüber denn nun erlauben kann und was nicht, soll das Beschäftigungsdatenschutzgesetz geändert werden - und all die Aktionen, die bisher verboten waren, werden mit einem Male legal.
So ist es nun möglich, dass Arbeitgeber "unter bestimmten Voraussetzungen die Inhalte von E-Mails ihrer Arbeitnehmer auswerten, mehr Videoüberwachungsmaßnahmen am Arbeitsplatz zur Qualitätssicherung installieren und vor allem großflächige, verdachtsunabhängige Datenabgleiche, sogenannte Screenings, über alle Beschäftigten vornehmen" dürfen, wie Report Mainz in einer
Presse-Mitteilung schrieb.
Sollte dies Gesetz werden, dann dürfte der Arbeitgeber tiefer in die Privatsphäre seiner Mitarbeiter eindringen als dies der Staat darf. Aber das ist eben das neoliberale Grundverständnis unserer Zeit: Wenig Rechte für den Staat, viel Rechte für den Bürger. Zumindest für die richtigen Bürger, die wo die Macht im Lande haben, weil ihr Konto gut gefüllt ist...
K.M.
red horse am 14. Oktober 11
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Die Milchmädchenrechnung der Frau von der Leyen
Da soll man doch mal sagen, die mehrmals täglich stattfinden Talk-Shows hätten keine interessanten Beiträge mehr zu bieten. Zum Ende der gestrigen (2.10.2011) Talk-Runde bei Günther Jauch zum Thema "Alte an die Arbeit! Können wir uns Rentner noch leisten?" kam es zu einem bemerkenswerten Wortwechsel zwischen der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Frau von der Leyen, auf der einen Seite und dem Historiker Götz Aly und dem Politiker Oscar Lafontaine auf der anderen Seite. Ausgangspunkt war die Vorstellung des Schweizer Rentenmodells in einem kurzen Filmbeitrag. Herr Aly und Herr Lafontaine befürworteten dieses Modell auch für Deutschland, Frau von der Leyen kanzelte es als "Milchmädchenrechnung" ab.
Worum geht es? Die Schweiz hat vor einigen Jahren ein
3-Säulen-Modell aus dem klassischen Umlageverfahren, beruflicher Vorsorge und privater Vorsorge eingeführt. Besonders der schweizerische Ansatz für die klassische Rentensäule führte zu dieser lebhaften Diskussion. Hier gibt es zwei markante Unterschiede zur Situation in Deutschland: Bei der schweizerischen Rente zahlen alle ein, und es gibt keine Beitragsbemessungsgrenze.
In Deutschland ist es so, dass sich die Wohlhabenden vor der Solidargemeinschaft drücken können. Selbstständige, Beamte (hier interessieren natürlich nur die gutverdienenden Beamten) und die, die nur von ihrem Vermögen leben, müssen gar nicht erst in die Rentenkasse einzahlen, die gutverdienenden Angestellten, die dennoch einzahlen müssen, zahlen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 5500 Euro im Monat, jeder weiterer Verdienst wird nicht zur Finanzierung der Rente herangezogen.
Die Schweiz hat diese Schlupflöcher geschlossen. Hier muss jeder zahlen, egal wie er sein Geld verdient, egal wie viel er verdient. Die älteren Herren der Runde hielten dies für eine gute Idee und forderten die Einführung des Schweizer Modells auch in Deutschland. Frau von der Leyen lehnte dies ab, mit der Begründung, dass dies eine Milchmädchenrechnung sei; denn wenn mehr Leute einzahlten, dann hätten auch mehr Leute Anspruch auf Rente, unter dem Strich ändere sich nichts.
Hm, dem mag man erst einmal nicht widersprechen, wenn es da nicht ein kleines Detail zur schweizerischen Rente gäbe, das auch im Filmbeitrag angesprochen wurde: Die maximale Rente liegt bei gut 2000 Franken. Egal wie viel man einzahlt, man bekommt nur die maximale Rente. In dem Filmbeitrag wurde dies am Beispiel eines Gutverdieners gezeigt, der jedes Jahr 100.000 Euro in die Rentenkasse einzahlt - am Ende jedoch nur knapp 22.800 Euro Rente pro Jahr in der Schweiz bekommt. Das Schweizer Modell sorgt also für eine gewollte Umverteilung von oben nach unten.
Damit ist Frau von der Leyens Einwand, die Vergrößerung der Zahl der Beitragszahler verändere nichts am System und sei nur eine Milchmädchenrechnung, natürlich vom Tisch; denn es wird nicht nur die Zahl der Beitragszahler vergrößert, die Zahl der Beitragszahler wird gerade um den Personenkreis vergrößert, der besonders viel verdient - doch dieser Kreis erhält dann nicht eine entsprechend hohe Rente, sondern nur einen maximalen Betrag. Es kommt also deutlich mehr Geld ins System.
Wie kommt Frau von der Leyen dann dazu, von einer Milchmädchenrechnung zu sprechen? Als Süddeutscher möchte man das Schulsystem des Nordlichtes von der Leyen beschuldigen. Doch wahrscheinlich ist der Grund viel banaler: Frau von der Leyen betreibt eine rücksichtslose Klientelpolitik, die darin besteht, ein paar Prozent Gutverdiener davor zu schützen, sich in die Solidargemeinschaft einbringen zu müssen. Wieso das zum Wohle des Volkes ist, kann man nur schwer verstehen.
K.M.
red horse am 03. Oktober 11
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