Wahlempfehlung
Schon wieder wird gewählt. Letzte Woche hat es Francois Hollande geschafft, Präsident Frankreichs zu werden. Wenn er in ein paar Tagen die Amtsgeschäfte übernimmt, wird sich zeigen, ob er wirklich etwas ändern kann in Europa, und die in ihn gesetzte Hoffnung gerechtfertigt war.
Die
Wahl nun ist nicht ganz so bedeutsam, auch wenn Nordrhein-Westfalen allein aufgrund seiner Größe natürlich einen gewissen Einfluss in Deutschland hat. Allerdings lohnt es sich, mal einen Blick auf die deutsche Parteienlandschaft zu werfen und den Rheinländern und Westfalen eine Wahlempfehlung aus Bayern zu geben. Schließlich gilt für uns Bayern, was der gerade 70 Jahre alte gewordene
Gerhard Polt mal so ausgedrückt hat: "Der Freistaat Bayern - das ist eine Demokratie. Kein Mensch hier bei uns wird gezwungen, eine Minderheit zu sein. Ein jedweder hat das Recht, sich zur Mehrheit zu bekennen."
Welche Parteien erfreuen denn die Wähler? Da haben wir die Union, die ihre Wurzeln vor allem in der religiösen Landbevölkerung hat. Nur, wer lebt heute noch auf dem Land? Und mit Religion haben viele Menschen auch nicht mehr so viel am Hut, da viele über die Kirche das denken, was die Erste Allgemeine Verunsicherung mal so schön in einem Lied getextet hat: "Es ist schon ein Skandel, dem Hergott sein Bodenpersonal." Und so zeigt sich die Union im Moment: Offen nach allen Seiten, weil sie selber gar nicht mehr weiß, wofür sie steht.
Die Liberalen scheinen sich gerade vor allem mit sich selber zu beschäftigen, wenn sie ihrer Klientel - Ärzten- Apothekern, Hoteliers - nicht Geldgeschenke machen. Eine Partei, die sich als wirtschaftsliberal gibt, um dann den Staat für egoistische Klientelpolitik zu missbrauchen, deklassiert sich selber.
Die SPD, der die Auguren immerhin vorhersagen, dass sie die Wahl in NRW gewinnen könnte, leidet immer noch an dem Verrat, den Genossen wie Schröder, Clement und Müntefering am sozialen Kern der Partei verübt haben. Immerhin war es die Regierung unter Schröder, die die Heuschrecken der Hedge Fonds in Land geholt und den Niedriglohnsektor, in dem immer mehr Menschen ausgebeutet werden, ausgebaut hat. Von diesem Verrat an den eigenen Idealen hat sich die SPD immer noch nie losgesagt. Aber wer soll sie dann wählen?
Die Grünen schützen die Umwelt und geben sich sozial. Doch mit der SPD betrieb Joschka Fischer die neoliberalste Politik, die je eine Bundesregierung in Deutschland betrieben hat. Heuchelei ist hier noch geschmeichelt. Ein Kreuzchen bei den Grünen ist auch nur etwas für die ganz harten.
Wie steht es um die Piraten oder die Linken? Eine Partei, die noch nicht weiß, was sie will, und eine Partei, die nicht weiß, ob sie sich von ihrer Vergangenheit wirklich lossagen soll. Hier macht man doch nur ein Kreuz, wenn man sich zufällig in die Wahlkabine verirrt hat und nicht so ohne weiteres wieder nach Hause gehen will.
Wahrscheinlich wird es in NRW wieder nur einen großen Sieger geben: Die Nichtwähler, die bei dieser Auswahl am politischen Buffet lieber zu Hause bleiben.
K.M.
red horse am 12. Mai 12
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Geistige Armut
Es ist Wahlkampf. Gut, in Deutschland mit seinen 16 Bundesländern ist ohnehin fast permanent Wahlkampf. Aber diesmal geht es um den Wahlkampf in Frankreich. Der konservative Präsident Sarkozy kämpft gegen den Sozialisten Hollande - und die Auguren prophezeien, dass Hollande gewinnen könnte. Das ist natürlich nicht im Sinne der konservativen deutschen Regierung. Also unterstützt man Sarkozy, wo man nur kann. So gab es Anfang des Jahres ein
gemeinsames Interview von Sarkozy und Merkel, was zugleich im deutschen und französischen Fernsehen gesendet wurde.
Doch damit nicht genug. Diese Woche schrieben der deutsche Innenminister Friedrich und sein französische Amtskollege Guéant einen
gemeinsamen Brief an die EU-Ratspräsidentschaft, in dem sie sich dafür einsetzten, das Schengen-Abkommen, dass die Bewegungsfreiheit der Bewohner aller Mitgliedsstaaten ermöglicht, im Notfall aussetzen zu können. Etwa, wenn massenhaft Flüchtlinge nach Europa strömen.
Da ist es wieder, das Lieblingsthema konservativer Parteien: Der Ausländer. Der natürlich zugleich kriminell ist. Das muss man nicht extra sagen. Im Jahr 1999 hat es Robert Koch mit einem
ausländerfeindlichen Wahlkampf geschafft, die CDU in Hessen an die Macht zu bringen. Und auch sonst setzen gerade konservative Politiker auf die Ressentiments der Bürger gegen alles Fremde.
Sarkozy hatte vor seinem letzten Präsidentschaftswahlkampf davon profitieren können, dass er als Innenminister im Jahr 2005 die Vorstädte mit einem Hochdruckreiniger von kriminellen Ausländern reinigen wollte. "Mit einem Karcher reinigen" (nach der deutschen Firma Kärcher, die derartige Hochdruckreiniger herstellt) wurde in Frankreich ein geflügeltes Wort für ein hartes Vorgehen gegen Ausländer.
Nun gut, das ist der Wahlkampf. Da übertreibt man gerne mal. Das Problem ist nur: Die Sachen bleiben hängen. Und sie bereiten den Boden für ein dumpfes, braunes Pack, das sich der Demokratie überhaupt nicht verpflichtet fühlt.
Baut man Feindbilder auf, dann heißt dies, dass man selber nichts Positives zu bieten hat, sondern seine Existenzberechtigung daraus zieht, dass es noch negativeres geben soll, gegen das man kämpft. Aber sind die europäischen Konservativen wirklich geistig so arm, dass sie nur noch mit der Hetze gegen Ausländer überleben können?
P.H.
red horse am 21. April 12
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Die ängstliche Demokratie
Ein Aufschrei geht durch die Republik: Die
Salafisten verteilen kostenlose Exemplare des Korans. Wieso, so wundert man sich, regt man sich darüber auf? Verteilen die Christen kostenlose Exemplare der Bibel, so ist das doch auch keine Meldung wert.
Der Grund für die Aufregung liegt darin, so liest man in der Presse, dass es sich bei den Salafisten nicht um irgendeine islamistische Gruppierung handelt, sondern um eine radikale Gruppe, die auch noch terroristischen Organisationen nahestehen soll. Die Salafisten verteilen also nicht nur den Koran, sondern machen auch noch Propaganda für ihr mittelalterliches Weltbild? Nö. Sie verteilen nur den Koran.
Warum ist das ganze dann überhaupt eine Meldung wert? Lassen wir uns nun von Radikalen mit ihren menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Taten und Äußerungen die Themen bestimmen? Es sieht ganz so aus.
Wir reagieren auf das Verteilen des Korans wie eine Gruppe Hühner, in deren Stall sich ein Fuchs eingeschlichen hat. Und auch wenn der Fuchs einen Maulkorb trägt und im Moment zumindest gar nicht beißen kann: Wir flattern nervös umher, als gehe die Welt unter. Denn die Demokratie hat Angst.
Nach dem Fall des Ostblocks haben wir uns selber herzlich gratuliert: Die Demokratie hat gewonnen, die Demokratie ist das bessere System. Doch seit Jahren nimmt die Politikverdrossenheit zu und immer weniger Menschen gehen zur Wahl - oder wählen mit den Piraten eine Partei, die selber noch nicht weiß, was sie eigentlich will. Zugleich
steigt die Ungleichheit in unserem Land - die Reichen werden immer reicher, die Armen bleiben zurück. Man hat nicht mehr den Eindruck, dass die Politik für alle da ist - und dann sind auch nicht mehr alle für den Staat und die Demokratie da.
Und so ängstigt sich die Demokratie schon, wenn nur das Gerücht aufkommt, ein Fuchs könnte in der Nähe sein.
P.H.
red horse am 14. April 12
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Freiheit und Gerechtigkeit
Die Formel für Freiheit und Gerechtigkeit scheint ganz einfach zu sein: Man gebe uns Freiheit, und die Gerechtigkeit stellt sich schon automatisch ein. Besonders die Ökonomen vertreten die Ansicht, dass ein freier Markt automatisch das optimale Ergebnis liefern werde. Und da von dem Optimum letztlich alle profitieren, bedeutet dies auch ein Höchstmaß an Gerechtigkeit.
Dies sieht auch unser neuer Bundespräsident so, der in
seiner Antrittsrede von "Freiheit als Bedingung für Gerechtigkeit" sprach. Nur während gerade neoliberale Denker hier aufhören, dachte Joachim Gauck noch einen Schritt weiter; denn es gilt auch "Gerechtigkeit als Bedingung dafür, Freiheit und Selbstverwirklichung erlebbar zu machen". Ohne Gerechtigkeit gibt es keine Freiheit. Oder wie Gauck sagte: "Wir dürfen nicht dulden, dass Kinder ihre Talente nicht entfalten können, weil keine Chancengleichheit existiert. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, Leistung lohne sich für sie nicht mehr, und der Aufstieg sei ihnen selbst dann verwehrt, wenn sie sich nach Kräften bemühen. Wir dürfen nicht dulden, dass Menschen den Eindruck haben, sie seien nicht Teil unserer Gesellschaft, weil sie arm, alt oder behindert sind."
Denn was bedeutet Freiheit an sich? Freiheit an sich ist zum Beispiel der freie Markt, der durch keine staatlichen oder gesellschaftlichen Regeln eingeschränkt wird. Und wer profitiert von einem solchen Markt? Allein die Starken. Diese setzen ihre Preise durch, diese bilden Kartelle oder Monopole und senken die Löhne auf ein Niveau, das zum Leben nicht reicht. Freiheit an sich ist erst einmal Anarchie.
Nur wenn man allen Menschen die Möglichkeit gibt, gleichermaßen an der Gesellschaft zu partizipieren, wenn Regeln geschaffen werden, die die Freiheit der Starken einschränken, damit auch die Schwachen ihre Freiheit erleben können, erst wenn es also Gerechtigkeit gibt, dann lebt man in einer wirklich freien Gesellschaft.
Erst wenn man die absolute Freiheit durch Gerechtigkeit einschränkt, dann können alle die Freiheit in einer Gesellschaft erleben. Gerechtigkeit braucht Freiheit - aber Freiheit braucht auch Gerechtigkeit, um zu existieren.
P.H.
red horse am 31. März 12
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Gesetze? Wozu? Sind wir etwa verdächtig?
Was haben Länder wie Syrien, Somalia und Deutschland gemeinsam? Richtig, in all diesen Ländern können Abgeordnete sich bestechen lassen, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen. Zwar gibt es seit 2005 eine
UN-Konvention gegen Abgeordnetenbestechung, die mittlerweile in 150 Ländern umgesetzt wurde - nur eben nicht in Deutschland.
Anfang März
unternahm die SPD mal wieder einen Versuch, diesen Umstand zu korrigieren und brachte ein Gesetz zur Abgeordnetenbestechung in den deutschen Bundestag ein. Die Debatte war hitzig, und das Ergebnis eindeutig: Ne, sowas wollen wir nicht.
Der Abgeordnete Jörg van Essen (FDP) wies darauf hin, "dass es im Kampf gegen Korruption wichtig sei, Abgeordnete zu haben, die finanziell nicht von der Politik abhängig seien." Wohlgemerkt: Das sollte ein Argument gegen die Notwendigkeit eines Abgeordneten-Korruptionsgesetzes sein.
Einen Schritt weiter ging der Abgeordnete der CSU,
Wolfgang Götzer. Dieser warnte, "dass bei einer Verschärfung alle Abgeordneten unter Generalverdacht gestellt würden." Nach dem Motto: Beweist uns doch erst mal, dass viele von uns korrupt sind, dann könnt ihr ruhig ein Gesetz dagegen erlassen.
Warum gibt es dann eigentlich Gesetze gegen Diebstahl oder Mord? Diese Verbrechen werden doch auch nur von einer Minderheit begangen. Beweist uns doch erst mal, dass wir alle Diebe sind, dann dürfte ihr Gesetze gegen den Diebstahl erlassen...
Manch ein Abgeordneter legt hier ein eigenartiges Rechtsverständnis an den Tag. Oder hätte er durch so ein Gesetz etwas zu befürchten? Den Generalverdacht, den Herr Götzer vermeiden wollte, ruft er durch seine unbedachte Äußerung erst hervor. Es ist vielleicht doch keine gute Idee, wenn man Schafen erlaubt, die Regeln selber festzulegen, nach denen sie die Wiese abfressen dürfen...
K.M.
red horse am 10. März 12
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Der Fall Griechenland
Griechenland ist das Sorgenkind Europas. Wird man das völlig überschuldete Land noch retten können? Wird es in die Insolvenz gehen? Noch ist alles offen. Sicher ist nur, dass wir kein weiteres Geld mehr geben wollen und die Griechen hart sparen sollen. Obwohl wir andererseits der Meinung sind, dass sich eine kriselnde Wirtschaft nur erholen kann, wenn man sogar noch mehr Geld in die Wirtschaft steckt. Aber Keynes Ratschläge gelten leider nur für Länder, die noch kreditwürdig sind.
Um Griechenlands Finanzen in den Griff zu bekommen, soll sogar ein
"Sparkommissar" installiert werden. Dieser Vorschlag fiel nicht gerade auf Wohlgefallen. Bei Demonstrationen gegen die Sparpolitik in Griechenland wurden schon
Nazi-Symbole gezeigt. Und die satirische Nachrichtensendung
Les Guignols des französischen Fernsehens lässt bei den "Mitteilungen des Staatspräsidenten" direkt die deutsche Bundeskanzlerin auftreten. Am deutschen Wesen...
Sicher, unsere europäischen Nachbarn haben Fehler gemacht. So scheint es gerade in Griechenland relativ einfach zu sein, Millionen am griechischen Fiskus vorbei zu schleusen, wie die vor kurzem
veröffentlichte Steuersünderdatei zeigt, nach der etwa 15 Milliarden Euro Steuern offen sind - etwa 7% des Bruttoinlandsprodukts. Doch auch in Deutschland werden Steuern hinterzogen. Und: Auch Deutschland konnte mehrmals in der jüngsten Geschichte seine Schulden nicht bezahlen. Deshalb die Hyperinflation Anfang der 1920er Jahre oder der Schuldenschnitt des Londoner Schuldenabkommens von 1953.
Aber was schert uns die Vergangenheit: Heute steht Deutschland glänzend da (wenn man mal das permanente Reißen der Maastricht-Kriterien ignoriert). Da kann man ruhig den arroganten Oberlehrer heraushängen lassen. Denn schließlich wird es für Deutschland nie mehr harte Zeiten geben. Ganz sicher nicht. So hoffen wir.
Doch die Geschichte neigt zu Wiederholungen. Und wir sollten aufpassen, dass aus dem Fall Griechenland dann kein Fall Deutschland wird; denn dieser Fall könnte tief sein.
K.M.
red horse am 11. Februar 12
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Vorerst (?) gescheitert
Der Euro kriselt und in den USA sind die
Gespräche zum Schuldenabbau zwischen den Demokraten und den Republikanern gescheitert. Aber das wirklich alle bewegende Thema dieser Woche war: Kommt er zurück oder nicht?
Das bemerkenswerte ist, dass man noch nicht einmal schreiben muss, um wen es sich bein "ihm" handelt, jeder weiß sofort, dass "Gutti" gemeint ist, der Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg, unser ehemaliger Minister in Berlin, der vor allem deshalb in guter Erinnerung geblieben ist, weil er sich gut in Szene zu setzen wusste. Und er hat den Wehrdienst abgeschafft. Gut, keiner wusste, wie man das dann umsetzen sollte, aber ein Freiherr kann sich ja auch nicht um alles kümmern.
Nun also arbeitet Guttenberg
"offensiv an seiner Rückkehr". Es passt ja auch
alles zusammen: Das Verfahren gegen Guttenberg wurde gegen eine Geldstrafe von 20.000 Euro eingestellt, er trat im kanadischen Halifax auf und in den nächsten Tagen wird sein Buch mit dem programmatischen Titel "Vorerst gescheitert" erscheinen. Das ist alles ist so gut choreographiert, dass selbst die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Hof von langer Hand vorbereitet war.
Aber die Reaktionen der Medien sind nicht sonderlich positiv. Die Süddeutsche titelt gar:
Comeback eines Blenders. Er hat es aber auch nicht leicht. Wir haben ja schon immer geahnt, dass Politiker das Volk nur blenden und betrügen und in Wirklichkeit nur ihren eigenen Vorteil im Blick haben. Nachdem unser aller Gutti sich die Doktorarbeit ergaunert und in seinem Ministeramt mehr Fragen als Antworten zurückgelassen hatte,
wissen wir nun, dass genau dies bei ihm der Fall ist. Der schöne Schein ist weg.
Aber spricht das wirklich gegen ein Comeback von Guttenberg? Man erinnere sich doch nur an den früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß. Bei ihm hatte doch auch keiner Zweifel, aus welchem Holz er geschnitzt war. Und hat ihm das geschadet? Zumindest nicht in Bayern. Die Bayern scheinen diese Ehrlichkeit ihrer Lügner zu lieben. "A Hund is er scho", wie man hier sagt. Und dann knuddelt man den kleinen Rabauken.
Guttenberg mag ein Lügner sein, ein Blender und Betrüger. Aber das ist nichts, was gegen sein Comeback sprechen würde. Zumindest nicht im Süden der Republik.
P.H.
red horse am 26. November 11
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This is (not) America
Wie heißt es noch einmal so passend zum Ende der ersten Strophe der
amerikanischen Nationalhymne:
O say, does that star-spangled
banner yet wave
O'er the land of the free
And the home of the brave?
(Übersetzung:
Oh sagt, weht dieses
sternenbesetzte Banner noch immer
über dem Land der Freien
und der Heimat der Tapferen?)
Nun diese Frage scheint heute mindestens so aktuell wie vor knapp 200 Jahren, als diese Zeilen geschrieben wurden.
Amerika, das war immer auch der amerikanische Traum, der zwischen New York und San Francisco, den Bankern und den Hippies, jedoch nicht nur ein Traum blieb, sondern Realität wurde. Wo sonst konnte man ungestört seine Meinung sagen, selbst neonazistischen Müll, für den man in Deutschland für ein paar Jahre arische Stahlfenster von innen besichtigen darf? Wo sonst konnte man die verrücktesten Dinge anstellen - Kekse ins Eis mischen wie Ben & Jerry oder respektlose Filme drehen wie Charlie Chaplin? Natürlich wurden diese Freiheiten auch ausgenutzt, etwa wenn man sich die Freiheit nahm, eine Café-Kette zu verklagen, weil der Kaffee doch tatsächlich heiß war und man sich damit in einem ungeschickten Moment den Oberschenkel verbrüht hatte. In Bayern hätte man die Angelegenheit mit einem herzlichen "Halt die Gosch'n, du Depp" erledigt, aber für den Amerikaner ist die Meinungsfreiheit heilig.
Doch was tut sich nun? Da protestieren Menschen gegen die soziale Ungerechtigkeit, die nur noch das Einkommen der oberen 1% der Bevölkerung wachsen lässt, während es den anderen 99% immer schlechter geht, und die Polizei geht mit aller Härte vor. In einer konzertierten Aktion wurden in zahlreichen amerikanischen Städten die Plätze geräumt, auf denen die Protestanten Zeltstädte errichtet hatten. Landesweit sollen dabei
über 4000 Menschen festgenommen worden sein. Das hatte sich noch nicht einmal das Mubarak-Regime in Ägypten getraut, als die Demonstranten dort den Tahir-Platz besetzt hielten.
Und was machen die Politiker? Zumindest die Republikaner werden ihrem Image der Partei der Superreichen gerecht und treten auf die 99%. "Nehmt erst einmal ein Bad und sucht euch dann einen anständigen Job",
forderte der Republikaner Newt Gingrich die Demonstranten auf. Die Demonstranten sind halt keine anständigen Menschen. "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern", wie der
letzte Woche verstorbene Liedermacher Franz-Josef Degenhardt schon in den 1960er Jahren sang. Denn wer Arbeit will, der findet auch eine. Gut, vielleicht nicht gerade in einer der schwersten Wirtschaftskrisen, die die Republikaner mit ausgelöst haben...
Früher, so hat man uns gesagt, waren die Amerikaner stolz auf die, die es geschafft hatten. Neid, so die Legende, gab es nur im verbiesterten Deutschland. Und heute? Da erkennen die Amerikaner, dass der Superreichtum des einen tiefe Armut für den anderen bedeutet. Die Bewunderung für den Reichtum anderer wich dem Gefühl, von den Reichen ausgenutzt zu werden. Und diese zögern auch nicht lange und zeigen den Armen, welche Verachtung sie eigentlich für die Armen empfinden.
In Amerika, so scheint es, zieht langsam die Normalität ein.
K.M.
red horse am 20. November 11
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Die Sache mit dem Auge
Man mag es nicht glauben: Da spioniert der Staat uns mit kleinen Computerprogrammen schon seit geraumer Zeit in einer Weise aus, die deutlich
jenseits von Recht und Gesetz ist, und dennoch bekommt er nicht mit, dass seit
mindestens 13 Jahren eine rechtsextreme Terrorgruppe in Deutschland ihr Unwesen treibt, Bomben baut, Banken überfällt und Einwanderer tötet.
Gut, man hätte sich Fragen können, ob ein Sprengstoffattentat in Köln-Mülheim, bei dem 22 Menschen schwer verletzt wurden und eine Frau ihr ungeborenes Kind verlor, nicht auf das Konto von Rechtsextremisten ging - schließlich fand das Attentat in einer
von Türken bewohnten Straße statt. Aber vielleicht wollte man auch nicht glauben, dass sich in Deutschland schon wieder rechtsextreme Gruppierungen so gut organisiert haben, dass sie mit ihrem Terror nach einen ausgeklügelten Plan das Leben von Menschen in Gefahr bringen würden.
Bisher waren Neonazis ja vor allem als Spontanschläger aufgefallen, die mal ihr einen Schwarzafrikaner zusammen oder dort einen Vietnamesen krankenhausreif geschlagen haben. Nichts, was den Frieden in Deutschland dauerhaft gestört hätte. Mei, jung san's halt. Und außerdem war auch noch meistens Alkohol im Spiel (natürlich war Alkohol im Spiel, anders kann man die wirren Ideen der Rechtsextremen auch nicht aushalten).
Nun organisieren sich also nicht nur Islamisten, um den Frieden im Land zu stören, sondern auch Rechtsextreme. Vor Verwunderung kann man den Mund kaum schließen: Dass die doch so intelligent sind, konnte ja keiner ahnen. Oder war die Polizei, wie ihr nun
vorgeworfen wird, einfach nur auf dem rechten Auge blind?
Aber gehören diese Zeiten, in denen man lieber mit den Rechtsextremen paktierte, bevor man auch nur ein Wort mit den Sozis wechselte, nicht längst der Vergangenheit an? Zumindest, seitdem es doch tatsächlich die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Schröder geschafft hat, ein derart neoliberales Regierungsprogramm durchzuziehen, dass sogar die FDP vor Neid erblasste? Dann wundert man sich aber schon über Äußerungen wie die des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger, der doch, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen, tatsächlich
vorgeschlagen hat: "Wir werden bei der nächsten Innenminister-Konferenz auf eine engere Zusammenarbeit von Bund und Ländern drängen." Schließlich habe man damit schon gute Erfolge im Kampf gegen den Islamismus erzielt.
Vielleicht ist man auf dem rechten Auge doch a bisserl kurzsichtig...
P.H.
red horse am 15. November 11
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Feinde im Inneren
Margaret Thatcher hatte in den 1980er Jahren einen großen Krieg zu kämpfen. Nein, nicht der Krieg gegen Argentinien um ein paar Felsen im Atlantik, die Falkland-Inseln, sondern einen veritablen Bürgerkrieg im eigenen Land. Hatten doch die Gewerkschaften der Bergarbeiter im März 1984 zu einem Streik gegen den Plan der Regierung aufgerufen, zahlreiche Zechen stillzulegen und die anderen zu privatisieren. Thatcher hatte damals Polizisten eingesetzt, um die Fronten der Streikenden gewaltsam zu öffnen und Streikbrecher in die Betriebe zu lassen. Außerdem hatte sie angeordnet, die Kinder der Streikenden von der kostenlosen Schulspeisung auszuschließen. Es ging schließlich darum, den "Feind im Inneren" (the enenmy within) zu bekämpfen, wie Thatcher damals meinte.
Nun ja, Feinde im Inneren kennen wir in Deutschland zum Glück nicht. Doch manchmal fragt man sich schon, was die Union und besonders die FDP mit ihrer Politik zu bezwecken versuchen. Am 04.11.2011 hat der Arbeitskreis Steuerschätzung
seine Prognose für das Steueraufkommen deutlich angehoben: Von 2011 bis 2015 sollen nach dieser Schätzung knapp 40 Milliarden Euro mehr in die Staatskasse fließen als noch bei der letzten Schätzung vorhergesagt. Nun sind die Vorhersagen der Steuerschätzung kaum genauer als das Vorhersagen der Zukunft mit Hilfe einiger Tarot-Karten, doch die Reaktion vor allem der FDP Politiker auf diese Nachricht war nur allzu leicht vorhersagbar: So seien, nach
Meinung des haushaltspolitischen Sprechers der FDP, Otto Fricke, die Zahlen der Schätzung "Anlass zur Freude", und eine Entlastung der Bürger sei nicht nur "haushaltspolitisch verantwortungsvoll, sondern auch wachstumspolitisch erforderlich". Und die FDP will die für 2013, rechtzeitig zur Wahl, geplanten Steuersenkungen aufgrund des großen Geldsegens nun
auf 2012 vorziehen.
Hübsch, wir haben mehr Geld - und das nur durch Steuereinnahmen. Wer könnte da dem Plan widersprechen, die Steuern zu senken, um diesen Überschuss wieder an die Bevölkerung zurückzugeben?
Manchmal wundert man sich wirklich, für wie dumm manche Politiker uns halten. Auch wenn sich die von den Steuerschätzern prognostizierten Mehreinnahmen so einstellen sollten, wie sie vorhergesagt wurden, haben wir nicht mehr Geld, sondern machen immer noch Schulden. Welches Geld soll denn da verteilt werden? Was wollen die Union und besonders die FDP erreichen? Wollen sie den Staat derart verschlanken, dass sein Gerippe in nächster Zeit entspannt in die Insolvenz gehen kann?
Thatcher nannte die Gewerkschaftler dereinst "Feinde im Inneren". Wir scheinen diese in Deutschland leider an exponierterer Stellung sitzen zu haben.
K.M.
red horse am 05. November 11
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