Sonntag, 20. November 2011
This is (not) America
Wie heißt es noch einmal so passend zum Ende der ersten Strophe der amerikanischen Nationalhymne:

O say, does that star-spangled
banner yet wave
O'er the land of the free
And the home of the brave?

(Übersetzung:
Oh sagt, weht dieses
sternenbesetzte Banner noch immer
über dem Land der Freien
und der Heimat der Tapferen?)

Nun diese Frage scheint heute mindestens so aktuell wie vor knapp 200 Jahren, als diese Zeilen geschrieben wurden.

Amerika, das war immer auch der amerikanische Traum, der zwischen New York und San Francisco, den Bankern und den Hippies, jedoch nicht nur ein Traum blieb, sondern Realität wurde. Wo sonst konnte man ungestört seine Meinung sagen, selbst neonazistischen Müll, für den man in Deutschland für ein paar Jahre arische Stahlfenster von innen besichtigen darf? Wo sonst konnte man die verrücktesten Dinge anstellen - Kekse ins Eis mischen wie Ben & Jerry oder respektlose Filme drehen wie Charlie Chaplin? Natürlich wurden diese Freiheiten auch ausgenutzt, etwa wenn man sich die Freiheit nahm, eine Café-Kette zu verklagen, weil der Kaffee doch tatsächlich heiß war und man sich damit in einem ungeschickten Moment den Oberschenkel verbrüht hatte. In Bayern hätte man die Angelegenheit mit einem herzlichen "Halt die Gosch'n, du Depp" erledigt, aber für den Amerikaner ist die Meinungsfreiheit heilig.

Doch was tut sich nun? Da protestieren Menschen gegen die soziale Ungerechtigkeit, die nur noch das Einkommen der oberen 1% der Bevölkerung wachsen lässt, während es den anderen 99% immer schlechter geht, und die Polizei geht mit aller Härte vor. In einer konzertierten Aktion wurden in zahlreichen amerikanischen Städten die Plätze geräumt, auf denen die Protestanten Zeltstädte errichtet hatten. Landesweit sollen dabei über 4000 Menschen festgenommen worden sein. Das hatte sich noch nicht einmal das Mubarak-Regime in Ägypten getraut, als die Demonstranten dort den Tahir-Platz besetzt hielten.

Und was machen die Politiker? Zumindest die Republikaner werden ihrem Image der Partei der Superreichen gerecht und treten auf die 99%. "Nehmt erst einmal ein Bad und sucht euch dann einen anständigen Job", forderte der Republikaner Newt Gingrich die Demonstranten auf. Die Demonstranten sind halt keine anständigen Menschen. "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern", wie der letzte Woche verstorbene Liedermacher Franz-Josef Degenhardt schon in den 1960er Jahren sang. Denn wer Arbeit will, der findet auch eine. Gut, vielleicht nicht gerade in einer der schwersten Wirtschaftskrisen, die die Republikaner mit ausgelöst haben...

Früher, so hat man uns gesagt, waren die Amerikaner stolz auf die, die es geschafft hatten. Neid, so die Legende, gab es nur im verbiesterten Deutschland. Und heute? Da erkennen die Amerikaner, dass der Superreichtum des einen tiefe Armut für den anderen bedeutet. Die Bewunderung für den Reichtum anderer wich dem Gefühl, von den Reichen ausgenutzt zu werden. Und diese zögern auch nicht lange und zeigen den Armen, welche Verachtung sie eigentlich für die Armen empfinden.

In Amerika, so scheint es, zieht langsam die Normalität ein.
K.M.