Samstag, 28. Januar 2012
Betrügen lohnt sich
Betrügen, so glauben wir doch, ist ein Verbrechen. Wer einen anderen mit der Absicht auf persönliche Bereicherung täuscht, der gehört bestraft. So sieht es zumindest der gesunde Menschenverstand. Aber was weiß der schon von unserem Rechtssystem...

Unsere Richter scheinen hier ein anderes Verständnis zu haben. So führte Heidrun S. den Hilfeverein "Kinder in Not" wie ein Familienunternehmen, dessen Gewinne - sprich Spenden - fast völlig für den eigenen Lebensunterhalt eingesetzt wurden, auch wenn die Homepage des Vereins sich vollmundig mit guten Taten schmückte - die jedoch andere vollbracht hatten. Im Laufe der Jahre veruntreute Heidrun S. mit ihrer Familie knapp 5 Millionen Euro - und wurde dafür dann schwer bestraft: Sie bekam zwei Jahre auf Bewährung und musste eine Strafe von gut 50.000 Euro bezahlen. Das veruntreute Geld musste sie nicht zurückzahlen. Es war ja auch schon alles ausgegeben - wie könnte man es dann noch zurückfordern? Unter dem Strich hat ihr der Schwindel also etwa 5 Millionen Euro eingebracht. Und sie musste noch nicht einmal ins Gefängnis.

Aber nicht nur Einzelpersonen betrügen, sondern ganze Firmen. Man denke nur an die Leiharbeitsbranche. Eigentlich sollte diese ihren Angestellten ja genauso viel zahlen, wie die festangestellten Kollegen in den Betrieben verdienen. Eine Ausnahme war nur möglich, wenn es einen Tarifvertrag mit einer Gewerkschaft gab, der eine Abweichung von dieser Regel erlaubte. Denn, so dachte der Gesetzgeber, welche Gewerkschaft würde denn, abgesehen von wirklichen Notfällen, einer solchen Ausnahme zustimmen?

Aber zum Glück gibt es ja die Christen, die auch noch die zweite Wange hinhalten, wenn man ihnen schon was auf die erste gab. Nur so kann man erklären, wieso die christliche Gewerkschaft CGZP völlig unproblematisch Tarifverträge mit zahlreichen Leiharbeitsfirmen abschloss, in denen Hungerlöhne für die Arbeiter die Norm waren. Dumm nur, dass das Bundesarbeitsgericht im Dezember 2010 dieser Gewerkschaft die Tariffähigkeit absprach, weil sie nun einmal so gut wie gar keine Arbeiter vertrat. Damit waren die Tarifverträge ungültig, die Gesetze galten, und die Arbeiter konnten das ihnen vorenthaltene Einkommen zurückfordern und der Staat die zu wenig gezahlten Sozialbeiträge. Die Leiharbeiterbranche sieht sich nun mit Millionenforderungen konfrontiert - und müsste doch tatsächlich das aufwendig ergaunert Geld wieder zurückzahlen.

Doch was der kleine Spendenbetrüger nicht muss, dass sollen doch auch große Leiharbeitsfirmen nicht müssen. Das scheint zumindest der Wirtschaftsflügel der Union zu denken. Dieser fordert "Vertrauensschutz" für die Leiharbeitsfirmen, die doch im festen Glauben daran, es mit einer echten Gewerkschaft zu tun zu haben, diese Tarifverträge abgeschlossen hätten. Gut, dass seit spätestens 2006 die Tariffähigkeit der CGZP in Frage steht, muss einen Unternehmer ja nicht kümmern. Wie schon die Banken, so scheinen auch die Leiharbeitsfirmen volles Risiko zu fahren - und dann darauf zu hoffen, dass der Staat ihnen schon unter die Arme greift.

Da haben die Neoliberalen doch ausnahmsweise mal recht: Unser Sozialstaat ist wirklich überdimensioniert. Und wenn Ihre Kinder mal nicht wissen, was sie werden wollen: Millionenbetrüger ist ein Job mit Zukunft und ohne jedes Risiko.
P.H.



Samstag, 14. Januar 2012
Juhu, 'ne neue Steuer!
Auf eine Sache kann man sich bei unseren Politikern ja verlassen: Wenn es darum geht, Geld aus den Taschen der Bürger zu ziehen, dann zeigen sie eine ungeahnte Kreativität. So haben einige Städte wie Köln eine sogenannte Bettensteuer eingeführt, bei der Hoteliers eine bestimmte "Kulturförderabgabe" pro Gast an die Stadt zahlen müssen. Bonn hat auf dem Straßenstrich einen Automaten aufgehängt, an dem die Prostituierten jeden Abend ein Ticket ziehen müssen, damit sie sich an die Straße stellen dürfen. Und nun ist schon wieder eine neue Steuer im Gespräch: Die Finanztransaktionssteuer.

Natürlich gibt es hier auch schon wieder kritische Stimmen, die diese hübsche Idee für zusätzliche Steuereinnahmen madig machen wollen. Besonders die FDP gab zu bedenken, dass unter dieser Steuer, die auf Aktien-, Anleihen- und Derivategeschäfte erhoben werden soll, gerade die Kleinsparer leiden werden, da die Banken diese Kosten ja direkt auf die Kunden umlegen würden. Es ist wirklich beschämend, dass Mutti, wenn sie gerade bei Aldi ein paar Euro gespart hat, diese in Zukunft nicht mehr in Derivategeschäfte stecken kann, weil die paar Kröten komplett für die Bankgebühren draufgehen werden.

Oder ist es nur "verwunderlich" zu sehen, was aus Sicht der FDP "Kleinsparer" sind? Wahrscheinlich hängt am Eingang ein Schild: "Kleinsparerverein FDP, Mindesteinkommen: 1 Million Euro pro Jahr".

Im Gegenteil, diese Steuer würde gerade diejenigen Treffen, die mit diesen "Massenvernichtungswaffen" (so die Investmentlegende Warren Buffet) ihr Geld verdienen. Denn diese leben davon, dass sie irrsinnige Geldsummen bewegen und dann hier ein Promille und dort drei Promille Gewinn machen, und die Anlagen sofort wieder verkaufen. Wenn bei jedem Verkauf 0,1 - 1 Promille an Steuern bezahlt werden müssen, dann lohnt sich der ganze Aufwand natürlich nicht mehr - es bliebe ja alles beim Staat.

Und das ist der eigentliche Sinn einer Finanztransaktionssteuer: Unsinnige Spekulationsgeschäfte, die nur Blasen erzeugen, sollen damit verhindert werden. Wenn diese Steuer wirklich erfolgreich ist, dann verhindert sie die Geschäfte, die sie besteuern will, und die Einnahmen des Staates bewegen sich nahe Null.

Und das wäre doch mal wirklich mal eine Steuer, für die man sich begeistern könnte.
J.E.



Samstag, 24. Dezember 2011
Alle Jahre wieder...
Alle Jahre wieder halten uns die Medien darüber auf dem Laufenden, wie groß der Umsatz im Weihnachtsgeschäft denn ausfällt - ob er so hoch ist wie im Vorjahr, ob er sogar höher ist, oder ob die Bürger dieses Jahr etwas knauserig sind.

Und alle Jahre wieder melden sich vor allem Kirchenvertreter zu Wort, die uns ermahnen, Weihnachten nicht zu einem reinen Kommerzfest verkommen zu lassen, so wie dies der Vorsitzender der katholischen deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, gerade wieder tat, als er sagte: "Wenn der Sinn von Weihnachten auf Geschenke gelegt und Kommerz reduziert wird, ist das eine Fehlentwicklung."

Weihnachten, das wissen schon unsere Kinder, feiern wir die Geburt Christi. Was viele aber nicht mehr wissen: Noch vor einigen Jahrhunderten war Weihnachten ein eher unbedeutendes Fest. Die Menschen freuten sich viel mehr auf den 6. Dezember, den Tag des Heiligen Sankt Nikolaus, wo man sich gegenseitig Geschenke machte. Erst Martin Luther und die Protestanten sprachen sich gegen die in ihren Augen blasphemische Heiligenverehrung der katholischen Kirche aus und setzten sich dafür ein, sich doch lieber zu Weihnachten, dem Geburtstag Christi, gegenseitig Geschenke zu machen.

Der Rest ist Geschichte, wie es so schön heißt: Nachdem Weihnachten ohnehin schon zum offiziellen Datum für gegenseitiges Beschenken erkoren wurde, tat die Konsumgüterindustrie ihr möglichstes, ein breites Panoptikum an Geschenken bereit zu stellen. Aus dem Heiligen Nikolaus wurde in den englischsprachigen Ländern der Santa Claus und in Deutschland der Weihnachtsmann, der den Kindern die Geschenke bringt - wenn nur die Eltern vorher dafür bezahlt haben. Und Coca-Cola schaffte es, mit ihrer Werbefigur des Santa Claus und Millionen an Werbegeldern das idealtypische Abbild für den modernen Weihnachtsmann mit langem weißen Bart und rotem Anzug zu schaffen.

Weihnachten, so wie wir es heute feiern, ist eine Schöpfung der Geschenkeindustrie; unser modernes Weihnachten definiert sich über Geschenke und Kommerz. Zu fordern, dass man den Sinn von Weihnachten nicht auf den Kommerz reduzieren solle, ist ungefähr so sinnvoll, wie zu fordern, dass es nachts nicht dunkel werden soll.

Was aber niemanden daran hindern soll, es dennoch zu versuchen.
P.H.



Dienstag, 6. Dezember 2011
Die Ökonomen feiern sich selber
Heute ist es wieder soweit: Am 10. Dezember werden in Stockholm die Nobelpreise verliehen. Alfred Nobel hatte diesen Preis für herausragende Leistungen auf den Gebieten der Physik, Chemie, Medizin, Literatur oder für den Frieden gestiftet. 1968 hatte die Schwedische Reichsbank anläßlich ihres 300-jährigen Bestehens einen Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften eingeführt. Allerdings muss die Frage erlaubt sein: Handelt es sich bei den Wirtschaftswissenschaften um eine Wissenschaft, oder ist es doch eher ein künstlerisches Fach wie die Literatur?

Die meisten Gewinner dieses Nobelpreises kamen aus den USA. Und gerade in den USA nahmen 1929 und 2007 die größten Wirtschaftskrisen der Neuzeit ihren Ausgangspunkt. Als Medizin gegen diese Krisen verordnen uns Wirtschaftswissenschaftler, die Nachfrage anzukurbeln - gleichzeitig aber zu sparen und Schulden abzubauen. Sie plädieren für niedrigere Steuern, weil die gut fürs Wachstum seien - und zugleich erlebten die USA und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg die höchsten Wachstumsraten, obwohl der Spitzensteuersatz damals bei 93% bzw. 56% lag - höher als zu je einer anderen Zeit. Und wenn man wirklich wissen will, wie sich die Wirtschaft entwickelt, dass muss man sein Geld auf die Aussagen irgendeines Außenseiters setzen, weil der Mainstream garantiert die falsche Prognose abliefert.

Betrachtet man diese Erfolgsbilanz der Wirtschaftswissenschaften, dann hätten sie sicherlich einen Karnevalsordern verdient - "Wider den tierischen Ernst" des Aachener Karnevalsvereins wäre dafür doch prädestiniert - aber sicher keinen Preis für herausragende wissenschaftliche Leistungen. Also handelt es sich bei den Wirtschaftswissenschaften um eine Kunstform? Nun, dichten scheinen die Vertreter dieser Zunft ja wirklich gut zu können... Aber für Literatur gab es ja schon einen Preis - warum brauchte es dann einen weiteren Preis für die Wirtschaftswissenschaften?

Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Wirtschaftswissenschaften die Wissenschaft nicht nur im Wort führen wollten, sondern dass sie das Bedürfnis hatten, wirklich ernst genommen zu werden. Und welcher Preis hat wissenschaftlich mehr Prestige als der Nobelpreis? Also spendierte ein typischer Sponsor dieser sogenannten Wissenschaft, eine Bank, flugs einen Nobelpreis, den man unter Seinesgleichen verleihen konnte, und schon wurde die Astrologie zur Astronomie und ein Wirtschaftswissenschaftler konnte sich als richtiger Wissenschaftler fühlen.

Doch auch dieses Kaisers neue Kleider verdecken das Elend nicht wirklich...
J.E.



Samstag, 3. Dezember 2011
Der verflixte Überschuss
Da hat sich das Europaparlament ja was Schönes geleistet: Es hat ein Gesetz gegen die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa verabschiedet. Dass eine negative Leistungsbilanz als Zeichen schlechten Wirtschaftens bestraft werden soll, versteht ja noch jeder. Aber das Europaparlament will jetzt auch, dass Länder, die zu viel Überschuss erwirtschaften mit Sanktionen rechnen müssen! Da war die Aufregung vor allem in Deutschland groß, und Finanzminister Schäuble hat mit seinen Kollegen der EU abgesprochen, dass diese Sanktionen zwar im Gesetz stehen würden, es aber praktisch nicht zu Sanktionen kommen würde.

Das kennt man ja schon vom Stabilitätspakt: Auch hier durfte die Neuverschuldungsgrenze von 3% des Bruttoinlandsproduktes nicht überschritten werden - doch als das Südland und der Stabilitätsanker Deutschland dies vor einigen Jahren mehrere Male tat, drückte die EU-Kommission beide Augen zu. Wer im Glashaus sitzt...

Aber zurück zur Forderung des Europaparlaments, dass man auch zu große Handelsbilanzüberschüsse verhindern will. Auf den ersten Blick hört sich das ziemlich unsinnig an. Da will man ein Land dafür bestrafen, dass es erfolgreich wirtschaftet und arbeitet. Auf so eine schwachsinnige Idee können auch nur politisierende, weltfremde Sesselpupser kommen.

Hm, leider kamen nicht nur politisierende, weltfremde Sesselpupser auf eine derart komisch Idee. Diese wurde auch zum Ende des Zweiten Weltkrieges von einem der einflussreichsten Ökonomen aller Zeiten, John Maynard Keynes, auf der Konferenz von Bretton Woods vertreten, auf der die wirtschaftliche Nachkriegsordnung geregelt wurde. Er forderte schon damals einen Ausgleich der Leistungsbilanzen. Damals waren die USA die führende Wirtschaftsmacht mit einem riesigen Überschuss - und sie reagierten genauso verständnislos auf diesen Vorschlag wie heute Deutschland.

Doch was steckt hinter dem Vorschlag? Nun, die einfache Feststellung, dass die weltweite Handelsbilanz ausgeglichen sein muss. Wenn einige Länder einen Überschuss erzielen, dann müssen andere Länder Defizite machen. Und wenn man nun einigen Ländern verbieten will, Defizite zu machen - können dann die anderen Länder ihre Überschüsse halten? Natürlich nicht, diese Vorstellung ist völliger Unsinn. Wenn man also Defizite verbieten will, dann muss man zwangsläufig auch Überschüsse verbieten, anders geht es nur, wenn man Mathematik im Taka-Tuka-Land gelernt hat.

Aber man setzt eine verhängnisvolle Spirale in Gang, wenn man sich einredet, man könne in einem Land Überschüsse steigern und zugleich in einem anderen Land Defizite reduzieren. Denn die Länder, die Defizite reduzieren sollen, können dies erst einmal nur, wenn sie deutlich billiger anbieten als die Länder, die heute Überschüsse produzieren. Billiger anbieten heißt fast immer niedrigere Löhne, heißt also ein niedrigerer Lebensstandard. Zugleich will das starke Land aber seine Überschüsse halten. Nun wächst ihm jedoch ein Konkurrent heran, der billiger ist. Also muss das starke Land ebenfalls die Löhne senken, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Gewinner gibt es in diesem Kampf keine.

Vielleicht ist die Idee des Europaparlaments, auch Länder mit einem zu großen Leistungsbilanzüberschuss zu bestrafen, also doch keine so blöde Idee.
J.E.



Samstag, 26. November 2011
Vorerst (?) gescheitert
Der Euro kriselt und in den USA sind die Gespräche zum Schuldenabbau zwischen den Demokraten und den Republikanern gescheitert. Aber das wirklich alle bewegende Thema dieser Woche war: Kommt er zurück oder nicht?

Das bemerkenswerte ist, dass man noch nicht einmal schreiben muss, um wen es sich bein "ihm" handelt, jeder weiß sofort, dass "Gutti" gemeint ist, der Freiherr Karl Theodor von und zu Guttenberg, unser ehemaliger Minister in Berlin, der vor allem deshalb in guter Erinnerung geblieben ist, weil er sich gut in Szene zu setzen wusste. Und er hat den Wehrdienst abgeschafft. Gut, keiner wusste, wie man das dann umsetzen sollte, aber ein Freiherr kann sich ja auch nicht um alles kümmern.

Nun also arbeitet Guttenberg "offensiv an seiner Rückkehr". Es passt ja auch alles zusammen: Das Verfahren gegen Guttenberg wurde gegen eine Geldstrafe von 20.000 Euro eingestellt, er trat im kanadischen Halifax auf und in den nächsten Tagen wird sein Buch mit dem programmatischen Titel "Vorerst gescheitert" erscheinen. Das ist alles ist so gut choreographiert, dass selbst die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Hof von langer Hand vorbereitet war.

Aber die Reaktionen der Medien sind nicht sonderlich positiv. Die Süddeutsche titelt gar: Comeback eines Blenders. Er hat es aber auch nicht leicht. Wir haben ja schon immer geahnt, dass Politiker das Volk nur blenden und betrügen und in Wirklichkeit nur ihren eigenen Vorteil im Blick haben. Nachdem unser aller Gutti sich die Doktorarbeit ergaunert und in seinem Ministeramt mehr Fragen als Antworten zurückgelassen hatte, wissen wir nun, dass genau dies bei ihm der Fall ist. Der schöne Schein ist weg.

Aber spricht das wirklich gegen ein Comeback von Guttenberg? Man erinnere sich doch nur an den früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß. Bei ihm hatte doch auch keiner Zweifel, aus welchem Holz er geschnitzt war. Und hat ihm das geschadet? Zumindest nicht in Bayern. Die Bayern scheinen diese Ehrlichkeit ihrer Lügner zu lieben. "A Hund is er scho", wie man hier sagt. Und dann knuddelt man den kleinen Rabauken.

Guttenberg mag ein Lügner sein, ein Blender und Betrüger. Aber das ist nichts, was gegen sein Comeback sprechen würde. Zumindest nicht im Süden der Republik.
P.H.



Sonntag, 20. November 2011
This is (not) America
Wie heißt es noch einmal so passend zum Ende der ersten Strophe der amerikanischen Nationalhymne:

O say, does that star-spangled
banner yet wave
O'er the land of the free
And the home of the brave?

(Übersetzung:
Oh sagt, weht dieses
sternenbesetzte Banner noch immer
über dem Land der Freien
und der Heimat der Tapferen?)

Nun diese Frage scheint heute mindestens so aktuell wie vor knapp 200 Jahren, als diese Zeilen geschrieben wurden.

Amerika, das war immer auch der amerikanische Traum, der zwischen New York und San Francisco, den Bankern und den Hippies, jedoch nicht nur ein Traum blieb, sondern Realität wurde. Wo sonst konnte man ungestört seine Meinung sagen, selbst neonazistischen Müll, für den man in Deutschland für ein paar Jahre arische Stahlfenster von innen besichtigen darf? Wo sonst konnte man die verrücktesten Dinge anstellen - Kekse ins Eis mischen wie Ben & Jerry oder respektlose Filme drehen wie Charlie Chaplin? Natürlich wurden diese Freiheiten auch ausgenutzt, etwa wenn man sich die Freiheit nahm, eine Café-Kette zu verklagen, weil der Kaffee doch tatsächlich heiß war und man sich damit in einem ungeschickten Moment den Oberschenkel verbrüht hatte. In Bayern hätte man die Angelegenheit mit einem herzlichen "Halt die Gosch'n, du Depp" erledigt, aber für den Amerikaner ist die Meinungsfreiheit heilig.

Doch was tut sich nun? Da protestieren Menschen gegen die soziale Ungerechtigkeit, die nur noch das Einkommen der oberen 1% der Bevölkerung wachsen lässt, während es den anderen 99% immer schlechter geht, und die Polizei geht mit aller Härte vor. In einer konzertierten Aktion wurden in zahlreichen amerikanischen Städten die Plätze geräumt, auf denen die Protestanten Zeltstädte errichtet hatten. Landesweit sollen dabei über 4000 Menschen festgenommen worden sein. Das hatte sich noch nicht einmal das Mubarak-Regime in Ägypten getraut, als die Demonstranten dort den Tahir-Platz besetzt hielten.

Und was machen die Politiker? Zumindest die Republikaner werden ihrem Image der Partei der Superreichen gerecht und treten auf die 99%. "Nehmt erst einmal ein Bad und sucht euch dann einen anständigen Job", forderte der Republikaner Newt Gingrich die Demonstranten auf. Die Demonstranten sind halt keine anständigen Menschen. "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern", wie der letzte Woche verstorbene Liedermacher Franz-Josef Degenhardt schon in den 1960er Jahren sang. Denn wer Arbeit will, der findet auch eine. Gut, vielleicht nicht gerade in einer der schwersten Wirtschaftskrisen, die die Republikaner mit ausgelöst haben...

Früher, so hat man uns gesagt, waren die Amerikaner stolz auf die, die es geschafft hatten. Neid, so die Legende, gab es nur im verbiesterten Deutschland. Und heute? Da erkennen die Amerikaner, dass der Superreichtum des einen tiefe Armut für den anderen bedeutet. Die Bewunderung für den Reichtum anderer wich dem Gefühl, von den Reichen ausgenutzt zu werden. Und diese zögern auch nicht lange und zeigen den Armen, welche Verachtung sie eigentlich für die Armen empfinden.

In Amerika, so scheint es, zieht langsam die Normalität ein.
K.M.



Dienstag, 15. November 2011
Die Sache mit dem Auge
Man mag es nicht glauben: Da spioniert der Staat uns mit kleinen Computerprogrammen schon seit geraumer Zeit in einer Weise aus, die deutlich jenseits von Recht und Gesetz ist, und dennoch bekommt er nicht mit, dass seit mindestens 13 Jahren eine rechtsextreme Terrorgruppe in Deutschland ihr Unwesen treibt, Bomben baut, Banken überfällt und Einwanderer tötet.

Gut, man hätte sich Fragen können, ob ein Sprengstoffattentat in Köln-Mülheim, bei dem 22 Menschen schwer verletzt wurden und eine Frau ihr ungeborenes Kind verlor, nicht auf das Konto von Rechtsextremisten ging - schließlich fand das Attentat in einer von Türken bewohnten Straße statt. Aber vielleicht wollte man auch nicht glauben, dass sich in Deutschland schon wieder rechtsextreme Gruppierungen so gut organisiert haben, dass sie mit ihrem Terror nach einen ausgeklügelten Plan das Leben von Menschen in Gefahr bringen würden.

Bisher waren Neonazis ja vor allem als Spontanschläger aufgefallen, die mal ihr einen Schwarzafrikaner zusammen oder dort einen Vietnamesen krankenhausreif geschlagen haben. Nichts, was den Frieden in Deutschland dauerhaft gestört hätte. Mei, jung san's halt. Und außerdem war auch noch meistens Alkohol im Spiel (natürlich war Alkohol im Spiel, anders kann man die wirren Ideen der Rechtsextremen auch nicht aushalten).

Nun organisieren sich also nicht nur Islamisten, um den Frieden im Land zu stören, sondern auch Rechtsextreme. Vor Verwunderung kann man den Mund kaum schließen: Dass die doch so intelligent sind, konnte ja keiner ahnen. Oder war die Polizei, wie ihr nun vorgeworfen wird, einfach nur auf dem rechten Auge blind?

Aber gehören diese Zeiten, in denen man lieber mit den Rechtsextremen paktierte, bevor man auch nur ein Wort mit den Sozis wechselte, nicht längst der Vergangenheit an? Zumindest, seitdem es doch tatsächlich die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Schröder geschafft hat, ein derart neoliberales Regierungsprogramm durchzuziehen, dass sogar die FDP vor Neid erblasste? Dann wundert man sich aber schon über Äußerungen wie die des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger, der doch, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen, tatsächlich vorgeschlagen hat: "Wir werden bei der nächsten Innenminister-Konferenz auf eine engere Zusammenarbeit von Bund und Ländern drängen." Schließlich habe man damit schon gute Erfolge im Kampf gegen den Islamismus erzielt.

Vielleicht ist man auf dem rechten Auge doch a bisserl kurzsichtig...
P.H.



Samstag, 5. November 2011
Feinde im Inneren
Margaret Thatcher hatte in den 1980er Jahren einen großen Krieg zu kämpfen. Nein, nicht der Krieg gegen Argentinien um ein paar Felsen im Atlantik, die Falkland-Inseln, sondern einen veritablen Bürgerkrieg im eigenen Land. Hatten doch die Gewerkschaften der Bergarbeiter im März 1984 zu einem Streik gegen den Plan der Regierung aufgerufen, zahlreiche Zechen stillzulegen und die anderen zu privatisieren. Thatcher hatte damals Polizisten eingesetzt, um die Fronten der Streikenden gewaltsam zu öffnen und Streikbrecher in die Betriebe zu lassen. Außerdem hatte sie angeordnet, die Kinder der Streikenden von der kostenlosen Schulspeisung auszuschließen. Es ging schließlich darum, den "Feind im Inneren" (the enenmy within) zu bekämpfen, wie Thatcher damals meinte.

Nun ja, Feinde im Inneren kennen wir in Deutschland zum Glück nicht. Doch manchmal fragt man sich schon, was die Union und besonders die FDP mit ihrer Politik zu bezwecken versuchen. Am 04.11.2011 hat der Arbeitskreis Steuerschätzung seine Prognose für das Steueraufkommen deutlich angehoben: Von 2011 bis 2015 sollen nach dieser Schätzung knapp 40 Milliarden Euro mehr in die Staatskasse fließen als noch bei der letzten Schätzung vorhergesagt. Nun sind die Vorhersagen der Steuerschätzung kaum genauer als das Vorhersagen der Zukunft mit Hilfe einiger Tarot-Karten, doch die Reaktion vor allem der FDP Politiker auf diese Nachricht war nur allzu leicht vorhersagbar: So seien, nach Meinung des haushaltspolitischen Sprechers der FDP, Otto Fricke, die Zahlen der Schätzung "Anlass zur Freude", und eine Entlastung der Bürger sei nicht nur "haushaltspolitisch verantwortungsvoll, sondern auch wachstumspolitisch erforderlich". Und die FDP will die für 2013, rechtzeitig zur Wahl, geplanten Steuersenkungen aufgrund des großen Geldsegens nun auf 2012 vorziehen.

Hübsch, wir haben mehr Geld - und das nur durch Steuereinnahmen. Wer könnte da dem Plan widersprechen, die Steuern zu senken, um diesen Überschuss wieder an die Bevölkerung zurückzugeben?

Manchmal wundert man sich wirklich, für wie dumm manche Politiker uns halten. Auch wenn sich die von den Steuerschätzern prognostizierten Mehreinnahmen so einstellen sollten, wie sie vorhergesagt wurden, haben wir nicht mehr Geld, sondern machen immer noch Schulden. Welches Geld soll denn da verteilt werden? Was wollen die Union und besonders die FDP erreichen? Wollen sie den Staat derart verschlanken, dass sein Gerippe in nächster Zeit entspannt in die Insolvenz gehen kann?

Thatcher nannte die Gewerkschaftler dereinst "Feinde im Inneren". Wir scheinen diese in Deutschland leider an exponierterer Stellung sitzen zu haben.
K.M.



Dienstag, 1. November 2011
Wem kann man noch trauen?
Nun also der Mindestlohn. Obwohl wir dank der Zeitumstellung am letzten Oktoberwochenende ungewöhnlich ausgeschlafen waren, glaubten wir doch zu träumen, als wir in den Nachrichten hörten, dass unsere Bundeskanzlerin sich nun für die Einführung eines Mindestlohns in Deutschland einsetze. Ausgerechnet Frau Merkel! Als im Jahr 2008, zu Zeiten der großen Koalition zwischen SPD und Union, schon einmal die landesweite Einführung eines Mindestlohns diskutiert worden war, da hatte Frau Merkel sich dagegen ausgesprochen. "Wir glauben, hier würden wir Barrieren aufbauen, wo Menschen sonst den Einstieg in einen Aufstieg für ihr Leben finden könnten", wie sie damals sagte.

Mindestlöhne, so das allgemeine Credo, kosten Arbeitsplätze. Gut, wissenschaftlich wurde das nie nachgewiesen, im Gegenteil wo immer man Mindestlöhne eingeführt hat, da kam es nicht zu dem befürchteten Arbeitsplatzabbau. Ein besonders überzeugendes Experiment wurde vor einigen Jahren in Florida durchgeführt. Im Jahr 2004 lag der landesweite Mindestlohn in den USA bei $5,15. Bei einer Abstimmung in Florida stimmten die Wähler für eine Anhebung des Mindestlohns auf $6,15 und legten außerdem fest, dass der Mindestlohn jährlich automatisch mit der Inflation steigen solle. Wieder hatten die Experten vor großen Arbeitsplatzverlusten gewarnt – doch man musste feststellen, dass sich diese auch ein Jahr nach Erhöhung des Mindestlohnes einfach nicht einstellen wollen. Stattdessen hatte Florida 248.000 neue Jobs geschaffen, während die Arbeitslosenrat auf ein 30-Jahrestief fiel.

Aber selbst empirische Beweise, dass ein Mindestlohn keine negative Auswirkung auf die Beschäftigtenzahlen hat, hindern einen Politiker natürlich nicht daran, felsenfest vom Gegenteil überzeugt zu bleiben.

Ein bisschen erinnert das an die Diskussion um die Atomenergie. Seit Jahren wussten alle, dass die Atomenergie eine riskante Technologie ist, bei der es zu schweren Unfällen kommen kann, seit Jahren wusste man, dass die Frage der nuklearen Endlagerung völlig ungeklärt ist, und so schnell auch nicht geklärt würde - und dennoch hatte Frau Merkel beschlossen, dass die Atomenergie eine zukunftsträchtige Technologie sei, weshalb die schwarz-gelbe Bundesregierung aus dem von rot-grün beschlossenen Atomausstieg ausstieg. Dann kam die Katastrophe von Fukushima, und plötzlich sah alles ganz anders aus. Schneller noch als sogar rot-grün dies vorgesehen hatte, wurden die ersten Atomreaktoren in Deutschland abgeschaltet.

Man kann ja verstehen, dass Politiker ihre Fahne nach dem Wind drehen, um bei der nächsten Wahl die Chance zu erhöhen, wiedergewählt zu werden. Doch sowohl im Fall der Atomenergie als auch im Fall der Mindestlöhne hat uns die Regierung von Frau Merkel überzeugende Argumente vorgelegt, die gar keinen anderen Schluss zuließen, als das die Atomenergie eine zukunftsfähige Technik ist und ein Mindestlohn völliger Unsinn. Man hat ihren Worten vertraut. Und jetzt vertraut Frau Merkel ihren eigenen Worten nicht mehr.

Wie soll man aber unseren Politikern noch vertrauen, wenn sie sich sogar selber nicht mehr vertrauen?
P.H.