Freitag, 19. Juni 2015
Geheuchelte Solidarität
In diesen Tagen gelangen die Diskussionen um die Zukunft Griechenlands in eine heiße Phase. Bis Ende Juni, so hört man immer wieder, muss eine Entscheidung her. Entweder halten sich die Griechen an den Sparkurs, und die Gläubiger gewähren weitere Kredite, oder das Land muss Konkurs anmelden.

Was aber vielleicht noch schlimmer ist als die Pleite Griechenlands: Geht Griechenland Pleite, dann wird Deutschland weniger von der Krise profitieren.

Denn Deutschland ist einer der größten Profiteure der Krise in Griechenland und anderen Ländern Europas. Dank dieser Krise sind die Zinsen auf einem historischen Tiefstand, und die deutsche Bundesregierung musste für ihren Schuldendienst seit 2008 etwa 94 Milliarden Euro weniger aufbringen, als ohne die Krise fällig geworden wären. Außerdem wurden Griechenland bisher nur Kredite gegeben. Dafür muss Griechenland auch Zinsen zahlen - unter anderem an Deutschland.

Hilfen für Griechenland in der Art eines Marshall-Plans, der den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg half, gab es bis heute nicht. Statt den Griechen in der Krise zu helfen, das Leid zu lindern in einem Land, in dem nun fast ein Drittel der Menschen keine Krankenversicherung mehr haben, fordert man sie auf, immer mehr zu sparen und die Gehälter und Renten weiter zu senken. Dass eine solche Politik völliger Unsinn ist, weiß kein Land besser als Deutschland: Während der großen Weltwirtschaftskrise ab 1929 hat der deutsche Kanzler Brüning ein großes Sparpaket aufgelegt - und damit die Krise nur verschärft. Wenn niemand mehr konsumiert, dann wächst die Wirtschaft auch nicht. Deshalb gab es in Deutschland nach 2008 ja die Abwrackprämie und beinahe ewig laufende Kurzarbeitsgelder.

Doch für Griechenland gilt die Regel, dass man in einer Krise Nachfrage schaffen soll, nicht. Hier soll die Nachfrage weiter gekürzt werden. Denn wollte man Nachfrage schaffen, dann müsste man den Griechen wirklich helfen, anstatt ihre Kredite bei den Banken immer weiter durch Kredite bei staatlichen Institutionen zu ersetzen. Wirklich helfen will aber niemand.

Zu angenehm sind die Vorteile, die wir hier in Deutschland aus dem Leid der Griechen ziehen.

Und dann reden wir von der Solidargemeinschaft Europa!
K.M.



Freitag, 5. Juni 2015
Demokratie für Eliten
An diesem Wochenende findet auf Schloss Elmau in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen der G7-Gipfel statt, zu dem sich sieben wichtige Staatschefs der freien Welt treffen - weit ab von bewohnten Gebieten und mit möglichst wenig Kontakt zum Volk.

Extra für diesen Gipfel wurden die Grenzkontrollen wieder eingeführt - man möchte schließlich nicht, dass irgendjemand das Idyll stört. Schloss Elmau wurde zu einer Hochsicherheitszone, um die ein drei Meter hoher Zaun gezogen wurde. Und das Demonstrationsrecht wollte die bayerische Staatsregierung auch geschickt aushebeln, indem man den Gemeinden um Elmau zu verstehen gab, dass man den Demonstranten auf keinen Fall ein Grundstück zum Campieren anbieten sollte. Als dann doch ein Landwirt ausscherte und sein Land verpachtete, verbot dies die Gemeinde Garmisch-Partenkirchen erst wegen "Hochwassergefahr" - doch mittlerweile haben Gerichte entschieden, dass hier doch campiert werden darf.

Natürlich muss Schutz für hochrangige Politiker sein. Man darf das Leben der Staatsoberhäupter nicht aufs Spiel setzen. Doch ist jeder Demonstrant nun ein potentieller Attentäter? Im Zweifel für die Schuld - alle sind verdächtig und potentielle Täter?

Das sind nicht die Grundprinzipien eines Rechtsstaats.

Dabei gibt es viel zu kritisieren an der Politik unserer Staatslenker: Eine Bankenrettung, die nur reichen Investoren hilft aber nicht den Menschen; ein Handelsabkommen (TTIP), das nur im Sinne der Unternehmen gestaltet wird; und geheime Schiedsgerichte, die es den Unternehmen ermöglichen, den Rechtsstaat auszuhebeln.

Die Politik kümmert sich nur noch um die Interessen der Eliten; die Bürger sind Stimmvieh, welches immer seltener zur Wahl geht.

Denn welches Vieh geht schon gerne zur eigenen Schlachtung?
J.E.



Samstag, 9. Mai 2015
Haltet die Leute dumm!
Vor einigen Wochen merkte eine Schülerin über Twitter an, dass sie "eine Gedichtanalyse in 4 Sprachen schreiben könne", aber "keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen" habe. Manch ein Lehrer reagierte empört auf diese Kritik und stellte die Frage, ob das Mädchen denn keine Eltern habe.

Diese Lehrer scheinen der Meinung zu sein, dass Wissen über den Alltag von den Eltern vermittelt werden sollte. Die Schule habe sich auf Hochgeistiges zu konzentrieren.

Aber wie viele Eltern kennen sich mit den Feinheiten der Finanzwirtschaft aus? Wenn wir alle Fachleute wären, wieso werden dann so viele von der Bank- und Versicherungswirtschaft über den Tisch gezogen? Wie viele wissen, dass die Garantieverlängerungen, die uns in Elektromärkten angeboten werden, nur den Gewinn der Elektromärkte steigern sollen, da sie genau die Phase im Leben eines Gerätes abdecken, wo die Ausfallwahrscheinlichkeit am geringsten ist? Wer kennt schon all die Tücken des Alltags?

Aufklärung täte hier sicher Not.

Doch ist Aufklärung auch erwünscht?

Offiziell leben wir in einer Marktwirtschaft. Angebot und Nachfrage treffen sich und legen den Preis für ein Produkt fest. Dies funktioniert natürlich nur, wenn Angebot und Nachfrage über den gleichen Wissensstand verfügen. Wenn die Angebotsseite mehr weiß und die Nachfrageseite mit vielen Dingen gar nichts anfangen kann, dann gibt es diesen gleichen Wissensstand nicht, die Angebotsseite diktiert die Regeln - und der Markt versagt.

Das nennt man dann Kapitalismus.

Im Kapitalismus versuchen Unternehmen, eine Marktkontrolle zu erreichen, entweder indem sie ein Monopol errichten oder/und indem sie die Kunden dumm halten, und ihnen so zum Beispiel chemische Pampe als gesundes Essen verkaufen können. Das würde nicht mehr funktionieren, wenn der Kunde tatsächlich wüsste, was in der Wirtschaft geschieht.

Und so ist es nur natürlich, dass wir unsere Kinder Gedichte interpretieren lassen, aber nicht über die Wirtschaft aufklären, in der sie leben.

Sonst hätten wir in Deutschland doch tatsächlich noch irgendwann eine Marktwirtschaft.
J.E.



Freitag, 24. April 2015
Christliche Werte
Wir in Europa sind stolz auf unsere christlichen Werte wie Menschenrechte, Toleranz, Nächstenliebe und Freiheit. Und wir betonen sie auch immer wieder, stehen sie doch in einem eklatanten Widerspruch zu den Werten, die in anderen Teilen der Welt gelebt werden - ganz besonders im Islam.

Nur: Die Welt ist leider nicht so einfach. Die Werte des Islams unterscheiden sich kaum von denen, die der christliche Westen hochhält - auch wenn man momentan nur von den verdrehten Werten einiger islamistischer Spinner hört. Und die Werte, die wir im Westen so gerne hochhalten, leben wir genau genommen gar nicht. Das Sein ist eben anders als der Schein.

In Afrika und im Nahen Osten sind wegen zahlloser Kriege Millionen Menschen auf der Flucht. Die Mehrzahl findet Zuflucht in völlig überforderten Nachbarländern. Doch einige wagen die Flucht nach Europa, die Flucht über das Mittelmeer.

Nur sind die Schiffe, mit denen sie flüchten, alte, kaum seetaugliche Kähne. Italien hatte deshalb das Programm "Mare Nostrum" (Unser Meer) gestartet, um die Schiffe möglichst schnell aufzuspüren und die Menschen zu retten. Doch dieses Programm kostete Geld, zu viel Geld für Italien, welches deshalb die europäische Wertgemeinschaft um Hilfe angerufen hatte. Und das christliche Europa half. Es übernahm das Programm von Italien und änderte den Namen in "Triton".

Und es setzt sich nun nicht mehr zum Ziel, Menschen aus Seenot zu retten, sondern nur dafür zu sorgen, dass sie nicht europäische Küsten erreichten, weshalb die europäischen Schiffe nicht mehr vor der afrikanischen Küste kreuzen wie noch die italienischen, sondern nur noch vor der europäischen. Man muss es mit der Nächstenliebe ja auch nicht übertreiben.

Nun starben letztes Wochenende etwa 700 Flüchtlinge, als ihr Schiff im Mittelmeer sank. 700 Tote, die vermeidbar gewesen wären, wenn Europa ein kleines bisschen weniger egoistisch wäre.

Der Aufschrei war groß. Die Medien berichteten täglich von diesem Unglück, die Politiker sahen sich genötigt, aktiv zu werden, und nun will Europa nicht nur die Grenzen schützen, sondern den Flüchtlingen auch ein bisschen helfen. Man musste eben erst sehen, dass wirklich etwas passiert, wenn man nichts tut.

Wie sollte man auch vor dem Schuss wissen, dass eine Waffe wirklich tötet, wenn man sie abfeuert?
J.E.



Freitag, 10. April 2015
Patentiertes Leben
Patente, so hören wir immer wieder, sind wichtig für Industrienationen. Ohne Patente gäbe es keine Erfindungen und keinen Fortschritt - denn wer investiere schon in Erfindungen, wenn er seine Erfindung nicht schützen kann? Also wurden Patent erfunden, die es dem Inhaber erlauben, anderen die Nutzung seiner Erfindung zu verbieten.

Allerdings kostet die Durchsetzung des Verbots Geld, manchmal viel Geld. Geld, das nur die großen Konzerne haben. Für die bietet das Patent deshalb tatsächlich einen Schutz - für alle anderen ist es ein Papiertiger. Aber gerade große Konzerne gelten nicht als besonders innovativ, obwohl sie viele Patente einreichen...

Man kann sich also schon fragen, ob Patente wirklich sinnvoll sind, oder nicht eher nur den Wettbewerb behindern; ob sie also sinnvoll sind. Ganz besonders laut wird diese Frage bei Patenten auf Pflanzen gestellt. Nach Artikel 53 des Europäischen Patentübereinkommens sind Patente auf "Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren" eigentlich verboten, so dass sich diese Frage gar nicht stellen sollte. Dumm ist nur, dass sich das Patentamt nicht an seine eigenen Regeln hält.

So erhielt Monsanto im Jahr 2013 ein Patent auf einen schnellwachsenden Brokkoli. Dieser Brokkoli wurde durch herkömmliche Züchtung erhalten, er unterscheidet sich von dem bekannten Brokkoli durch einen langen Stiel, der es einfacher machen soll, ihn automatisch zu ernten. Natürlich gab es Beschwerden gegen das Patent, welches so offensichtlich illegal ist. Doch nun hat die Große Beschwerdekammer entschieden, dass das Patent bestehen bleibt. Zwar seien konventionelle Züchtungsverfahren nicht patentierbar, die damit hergestellten Pflanzen aber schon, so die Kammer. Das liest sich im Gesetz zwar anders, aber mit der Zulassung von Patenten auf gentechnisch veränderte Pflanzen brach das Patentamt den Deich schon vor Jahren, nun lässt es eben auch Patente auf konventionell gezüchtete Lebewesen zu. Es kann eben alles patentiert werden, was irgendwie neu ist. Zum Wohl der Großkonzerne.

Und dies ist auch nur zu ihrem Wohl. Kleine Firmen haben kaum die finanziellen Mittel, um Patentverletzer anzugehen. Und Großkonzerne haben auch die Macht, ihre Patente durchzusetzen. "Dann kauft doch herkömmlichen Brokkoli!" könnte man rufen. Nur kontrollieren die Großkonzerne wie Monsanto den Saatgutmarkt. Bald schon wird es keinen anderen Brokkoli als den Monsanto-Brokkoli geben. Und mit jedem Bissen wird Monsanto reicher und mächtiger.

Und bald gilt dies auch für Tomaten, Gurken, Zucchini... Man muss zum Vampir werden, will man verhindern, dass die Großkonzerne uns das letzte Geld aus der Tasche ziehen. Denn Patente auf den Menschen sind noch nicht erlaubt.

Noch nicht.
P.H.



Samstag, 14. März 2015
Schizophrenes Europa
Am Montag dieser Woche hat die Europäische Zentralbank die letzten Schleusen geöffnet. Weil die Inflation noch niedrig ist, schmeißt die EZB so viel Geld auf den Markt, wie noch nie vorher. Die Zinsen sind schon seit Jahren historisch niedrig, seit Mitte 2014 müssen Banken, die Geld bei der EZB parken, sogar Strafzinsen zahlen, dennoch erholt sich die Wirtschaft in den Krisenländern der EU kaum, weil dort kein Geld ankommt, um zu investieren oder zu konsumieren.

Also kauft die EZB nun monatlich für 40 Milliarden Euro Staatsanleihen von den Banken auf, um ihnen mehr Geld zur Verfügung zu stellen, Geld, welches dann dazu dienen soll, die Konjunktur anzukurbeln.

Doch Geld scheint nicht das Problem zu sein. Geld hatten die Banken schon vorher genug, sie wurden mit den Strafzinsen ja sogar gezwungen, es an die Kunden weiter zu reichen - und haben es dennoch nicht getan, sondern lieber die Strafzinsen der EZB in Kauf genommen. Und so sorgt die zusätzliche Geldschwemmen nur dafür, dass die Aktienkurse steigen und der DAX von Rekord zu Rekord eilt. Das zusätzliche Geld landet nicht in der Wirtschaft und bei den Armen, deren Konsum angekurbelt werden soll, sondern in den Taschen der Reichen, die dadurch noch reicher werden.

Denn gleichzeitig verfolgt die Politik ein ganz anderes Ziel. Anstatt die Wirtschaft durch Investitionen anzukurbeln, will sie die Staatshaushalte durch Sparen in den Griff bekommen.

Die EZB stellt mehr Geld zur Verfügung, und Politik nimmt es sofort wieder weg.

Mal schaun, wie lange Europa diesen Spagat überlebt.
J.E.



Freitag, 27. Februar 2015
Schöne neue Welt
Ist sie nicht wunderbar, die schöne neue Technikwelt? Die Geräte werden immer kleiner und leistungsfähiger. Die ersten Handys waren klobige Teile mit externen Batterien, mit denen man trotzdem nur wenige Minuten telefonieren konnte. Moderne Smartphones passen in die Hosentasche und erlauben es uns, Filme zu sehen, Musik zu hören, im Internet zu surfen - und, ach ja, natürlich auch zu telefonieren.

Und gerade das Internet ist doch ein Segen. Mussten wir früher Tausende ausgeben, um ein Lexikon zu erwerben, so liefert uns das Internet alle Informationen kostenlos. Es ist nicht mehr nötig, eine Zeitung zu abonnieren, wenn uns das Internet dieselben Informationen mit einem Klick zur Verfügung stellt.

Wenn man genau hinschaut, ist das Internet allerdings nur so kostenlos, wie das Privatfernsehen. Während wir für das öffentlich-rechtliche Fernsehen monatliche Gebühren zahlen müssen, lebt das Privatfernsehen von Werbeeinnahmen. Die Kosten dafür werden auf die Produkte aufgeschlagen, und so zahlen am Ende doch wir die Kosten dafür. Doch während wir bei den öffentlich-rechtlichen eine Rechnung bekommen können und transparent sehen können, wie viel uns das Programm kostet, verbergen sich die Kosten für das Privatfernsehen, und wir haben keine Ahnung, wer wie viel für das Programm zahlt.

Ähnlich geht das Internet vor. Google macht uns glauben, dass seine Dienste völlig kostenlos seien. Dabei erwirtschaftet es Milliarden mit Werbung, für die letztlich wir zahlen. Unter dem Strich kommt uns Google ziemlich teuer.

Aber es schickt uns keine Rechnung, weshalb wir glauben, Google sei umsonst. Ebenso glauben wir, alles andere im Netz sei umsonst. Und wir genießen es. Dass wir mit Geld und privaten Daten zahlen (die Informationen, die Google über uns hat, hätten jeden Stasi-Offizier vor Neid erblassen lassen), wird uns nicht bewusst. Wir entblößen uns vor den Konzernen und glauben auch noch, dass dies für uns vorteilshaft wäre.

Dieses Google-Konzept der scheinbaren Kostenlosigkeit breitet sich nun in der gesamten IT-Branche aus. Samsung wurde erwischt, wie sie in ihre Fernseher eine Software eingebaut haben, die von Samsung aufgespielte Werbung einblendet. Der Computerhersteller Lenovo hat auf seine Rechner eine Software vorinstalliert, die auf Webseiten gezielt Werbung einblendet. Ganz allgemein packen uns die Gerätehersteller immer mehr Werbung auf die Geräte, die Speicher fressen, das Gerät verlangsamen - und eigentlich ohne Nutzen für uns sind. Doch sie helfen den Herstellern, die Preise zu senken, denn sie verdienen an der Werbung.

Dass uns diese Software dann auch noch ausspioniert, muss uns nicht stören. Wir zahlen doch weniger. Und wer hat schon was zu verbergen?

So werden wir von der Industrie unserer Bürgerrechte beraubt und zu dem degradiert, was wir in der modernen Wirtschaft sein sollen: Konsumenten, die stumpfsinnig ihr Geld ausgeben.
P.H.



Samstag, 14. Februar 2015
Die Wirtschaft ... wächst?
Als eines der letzten Industrieländer hat Deutschland Anfang 2015 einen Mindestlohn eingeführt. Ende 2014 war der Aufschrei noch groß. Die Wirtschaftsweisen warnten davor, dass die Wirtschaft wegen des Mindestlohns schrumpfen werde und die Beschäftigungszahlen abnehmen würden. Sie glaubten dafür sogar schon Ende 2014 Anzeichen zu erkennen, obwohl der Mindestlohn zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht eingeführt war. Aber ein Mindestlohn muss schlecht sein.

Das ist er auch. Allerdings nur für die Gewinne der Unternehmer.

Und nun kommt die Katastrophe: Die Wirtschaft wächst rasant und Deutschland ist die Wirtschaftslokomotive Europas. Die Gründe dafür sind klar: Der niedrige Ölpreis und der billige Euro schieben die Wirtschaft an. Der Mindestlohn kann nichts dafür, obwohl auch die Nachfrage im Inland steigen soll. Aber Gutes kann ein Mindestlohn ja nicht bringen. Eigentlich fehlt noch ein Wirtschaftswissenschaftler, der uns darauf hinweist, dass das Wachstum bei diesen tollen Randbedingungen noch viel größer ausfallen könnte - wenn wir nur den bösen, bösen Mindestlohn nicht haben.

Aber das klingt dann wohl doch zu albern. Doch der Mindestlohn ist den Neo-liberalen nun einmal ein Dorn im Auge. Er muss weg. Und wenn das Argument Wirtschaftswachstum dummerweise doch nicht zieht, dann muss man eben ein anderes finden. Und die Union hat es gefunden: Bürokratiemonster.

Das Gesetz zum Mindestlohn verpflichtet die Unternehmen doch tatsächlich, die geleisteten Arbeitszeiten der Mitarbeiter zu notieren, damit man auch überprüfen könnte, ob der Mindestlohn eingehalten wird. Die Union findet das Quatsch: Die Arbeitszeiten sind doch im Arbeitsvertrag geregelt, wozu muss man die da noch überprüfen?

Erstaunlich ist, dass die Arbeitgeber sich sicher zu sein scheinen, dass die Arbeitszeiten auch wie vereinbart eingehalten werden - und es aus eigenem Interesse bisher nicht nötig hielten, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu kontrollieren. Könnte es nicht sein, dass diese zu wenig arbeiten?

Wohl eher nicht. Deshalb möchte man es wohl auch nicht wissen, und nennt das ganze "Bürokratiemonster".

Denn ein Monster kann nie etwas Gutes sein.
J.E.



Samstag, 31. Januar 2015
Griechische Traditionen
Wenn wir in der westlichen Welt von christlichen Traditionen und Werten reden, dann meinen wir eigentlich griechische Traditionen und Werte. Die Demokratie entstand in Griechenland, unsere ganze Art des Philosophierens und Denkens kommt aus Griechenland. Griechenland war der Vorreiter der westlichen Welt - und ist es auch heute noch.

Im Westen macht sich die Denkweise des Neoliberalismus immer mehr breit. Dieser fordert einen schwachen Staat, der sich aus dem Leben heraushält, und keine Steuern, besonders nicht für Leistungsträger aka Reiche. Wohin das führt, können wir in Griechenland beobachtet; denn Griechenland ist das Paradies des Neoliberalismus.

Reiche schaffen es dort seit Jahren, keine Steuern mehr zu zahlen, und der Staat ist viel zu schwach, als dass er die Reichen zur Rechenschafft ziehen könnte. Legendär sind die Bilder aus griechischen Finanzämtern, wo sich die Akten am Boden stapeln, weil diese Ämter zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch nicht einmal mit Computern ausgestattet waren. Die Funktion des Staates war nicht mehr gegeben. Stattdessen herrschten Willkür, Vetternwirtschaft und Korruption.

Und wenn man Milliarden nach Griechenland transferierte, um den Griechen zu helfen, dann landete das Geld zumeist auf den Konten der Banken und Reichen, derjenigen, die Griechenland abgewirtschaftet hatten. Die griechische Bevölkerung erhielt nichts davon.

Nun haben die Griechen die Vertreter dieses vorbildhaften Griechenlands abgewählt. Die Partei Syriza bekam die deutliche Mehrheit der Stimmen. Und der Westen heult auf: Was soll aus Griechenland werden?

Werden die Griechen nun vom Sparkurs abweichen, so wie dies auch die Deutschen in der Krise 2008/2009 taten, um mit staatlichen Investitionen den Fall aufzufangen? Werden die Griechen ihre Schulden nicht mehr abbezahlen, die in den Zeiten der "Hilfe" noch stärker wuchsen als davor? Werden ihnen andere Länder folgen?

Zu wünschen wäre es. Doch die Aufgabe, vor der Syriza steht, ist immens. Es muss eine funktionierende Verwaltung aufgebaut werden, die dem Staat zu seinem Recht verhilft. Und das schafft man nicht nur, indem man mehr Beamte einstellt, sondern vor allem, indem man ihnen die Mittel an die Hand gibt, damit sie ihre Arbeit machen können.

Nach Jahrzehnten der neoliberalen Misswirtschaft ist das eine Herkules-Aufgabe. Wir sollten den Griechen dabei helfen, anstatt ein Wehklagen darüber anzustimmen, dass die Griechen sich von den neoliberalen Wirtschaftszielen abwenden.

Denn das sollte uns wieder einmal als Vorbild dienen.
J.E.



Samstag, 17. Januar 2015
Nous sommes Tartuffe
Es war ein Anschlag auf die Freiheit. Zwölf Menschen waren bei einem Anschlag auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" am 07.01.2015 getötet worden. Charlie Hebdo war vor allem für seinen kritischen Umgang mit Religionen bekannt. Die Attentäter hatten Charlie Hebdo ausgewählt, weil er sich auch kritisch mit dem Islam auseinandersetzte. Als Zeichen der Solidarität mit den Mitarbeitern der Zeitung trugen Menschen weltweit das Schild "Je suis Charlie", ich bin Charlie, bei Demonstrationen gegen diesen Akt der Intoleranz und Brutalität.

Freiheit mag unangenehm sein, und sie endet auch dort, wo die Freiheit anderer beschnitten wird. Aber die Freiheit anderer wird nicht schon dort beschnitten, wenn man der Ansicht ist, dass mir die Ausübung der Freiheit eines anderen nicht gefällt. Kritik und Satire müssen in einer Demokratie immer möglich sein. Nähme man bei seinen Meinungsäußerungen Rücksicht auf die Befindlichkeiten aller, dann gäbe es keine freie Meinungsäußerung mehr - und die Demokratie wäre tot.

Doch wir wollen weiter in einer Demokratie leben. Wir sind Charlie.

Und wie wollen wir die Freiheit und unsere Demokratie verteidigen?

Es waren noch nicht einmal 24 Stunden vergangen, da fordert die CSU die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, die unter anderem deshalb gestoppt worden war, weil sie die freie Arbeit der Journalisten behindert. In Frankreich gibt es sie schon - und sie hat das Attentat trotzdem nicht verhindert. Sie kann nur die Freiheit einschränken, jedoch keine Verbrechen verhindern.

Und die christlichen Kirchen in Deutschland tun sich ohnehin schwer mit der Demokratie. Sie besitzen zahlreiche Sonderrechte, die ihnen auch erlauben, Menschen zu feuern, wenn sie sich das zweite Mal verheiraten. Die Regeln der Demokratie gelten für sie nicht. Und das Blasphemie-Verbot umhüllt sie zusätzliche mit einem Schutzkokon, den keine andere gesellschaftliche Gruppe besitzt. Wenn sich gerade die Kirchen für Freiheit und Demokratie einsetzen, dann klingt das heuchlerisch.

Im Französischen wird ein religiöser Heuchler nach eienr Figur des Autors Molière als "Tartuffe" bezeichnet. Sind wir also alle Charlie?

Non, nous sommes Tartuffe.
P.H.