Freitag, 27. Februar 2015
Schöne neue Welt
Ist sie nicht wunderbar, die schöne neue Technikwelt? Die Geräte werden immer kleiner und leistungsfähiger. Die ersten Handys waren klobige Teile mit externen Batterien, mit denen man trotzdem nur wenige Minuten telefonieren konnte. Moderne Smartphones passen in die Hosentasche und erlauben es uns, Filme zu sehen, Musik zu hören, im Internet zu surfen - und, ach ja, natürlich auch zu telefonieren.

Und gerade das Internet ist doch ein Segen. Mussten wir früher Tausende ausgeben, um ein Lexikon zu erwerben, so liefert uns das Internet alle Informationen kostenlos. Es ist nicht mehr nötig, eine Zeitung zu abonnieren, wenn uns das Internet dieselben Informationen mit einem Klick zur Verfügung stellt.

Wenn man genau hinschaut, ist das Internet allerdings nur so kostenlos, wie das Privatfernsehen. Während wir für das öffentlich-rechtliche Fernsehen monatliche Gebühren zahlen müssen, lebt das Privatfernsehen von Werbeeinnahmen. Die Kosten dafür werden auf die Produkte aufgeschlagen, und so zahlen am Ende doch wir die Kosten dafür. Doch während wir bei den öffentlich-rechtlichen eine Rechnung bekommen können und transparent sehen können, wie viel uns das Programm kostet, verbergen sich die Kosten für das Privatfernsehen, und wir haben keine Ahnung, wer wie viel für das Programm zahlt.

Ähnlich geht das Internet vor. Google macht uns glauben, dass seine Dienste völlig kostenlos seien. Dabei erwirtschaftet es Milliarden mit Werbung, für die letztlich wir zahlen. Unter dem Strich kommt uns Google ziemlich teuer.

Aber es schickt uns keine Rechnung, weshalb wir glauben, Google sei umsonst. Ebenso glauben wir, alles andere im Netz sei umsonst. Und wir genießen es. Dass wir mit Geld und privaten Daten zahlen (die Informationen, die Google über uns hat, hätten jeden Stasi-Offizier vor Neid erblassen lassen), wird uns nicht bewusst. Wir entblößen uns vor den Konzernen und glauben auch noch, dass dies für uns vorteilshaft wäre.

Dieses Google-Konzept der scheinbaren Kostenlosigkeit breitet sich nun in der gesamten IT-Branche aus. Samsung wurde erwischt, wie sie in ihre Fernseher eine Software eingebaut haben, die von Samsung aufgespielte Werbung einblendet. Der Computerhersteller Lenovo hat auf seine Rechner eine Software vorinstalliert, die auf Webseiten gezielt Werbung einblendet. Ganz allgemein packen uns die Gerätehersteller immer mehr Werbung auf die Geräte, die Speicher fressen, das Gerät verlangsamen - und eigentlich ohne Nutzen für uns sind. Doch sie helfen den Herstellern, die Preise zu senken, denn sie verdienen an der Werbung.

Dass uns diese Software dann auch noch ausspioniert, muss uns nicht stören. Wir zahlen doch weniger. Und wer hat schon was zu verbergen?

So werden wir von der Industrie unserer Bürgerrechte beraubt und zu dem degradiert, was wir in der modernen Wirtschaft sein sollen: Konsumenten, die stumpfsinnig ihr Geld ausgeben.
P.H.



Samstag, 14. Februar 2015
Die Wirtschaft ... wächst?
Als eines der letzten Industrieländer hat Deutschland Anfang 2015 einen Mindestlohn eingeführt. Ende 2014 war der Aufschrei noch groß. Die Wirtschaftsweisen warnten davor, dass die Wirtschaft wegen des Mindestlohns schrumpfen werde und die Beschäftigungszahlen abnehmen würden. Sie glaubten dafür sogar schon Ende 2014 Anzeichen zu erkennen, obwohl der Mindestlohn zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht eingeführt war. Aber ein Mindestlohn muss schlecht sein.

Das ist er auch. Allerdings nur für die Gewinne der Unternehmer.

Und nun kommt die Katastrophe: Die Wirtschaft wächst rasant und Deutschland ist die Wirtschaftslokomotive Europas. Die Gründe dafür sind klar: Der niedrige Ölpreis und der billige Euro schieben die Wirtschaft an. Der Mindestlohn kann nichts dafür, obwohl auch die Nachfrage im Inland steigen soll. Aber Gutes kann ein Mindestlohn ja nicht bringen. Eigentlich fehlt noch ein Wirtschaftswissenschaftler, der uns darauf hinweist, dass das Wachstum bei diesen tollen Randbedingungen noch viel größer ausfallen könnte - wenn wir nur den bösen, bösen Mindestlohn nicht haben.

Aber das klingt dann wohl doch zu albern. Doch der Mindestlohn ist den Neo-liberalen nun einmal ein Dorn im Auge. Er muss weg. Und wenn das Argument Wirtschaftswachstum dummerweise doch nicht zieht, dann muss man eben ein anderes finden. Und die Union hat es gefunden: Bürokratiemonster.

Das Gesetz zum Mindestlohn verpflichtet die Unternehmen doch tatsächlich, die geleisteten Arbeitszeiten der Mitarbeiter zu notieren, damit man auch überprüfen könnte, ob der Mindestlohn eingehalten wird. Die Union findet das Quatsch: Die Arbeitszeiten sind doch im Arbeitsvertrag geregelt, wozu muss man die da noch überprüfen?

Erstaunlich ist, dass die Arbeitgeber sich sicher zu sein scheinen, dass die Arbeitszeiten auch wie vereinbart eingehalten werden - und es aus eigenem Interesse bisher nicht nötig hielten, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter zu kontrollieren. Könnte es nicht sein, dass diese zu wenig arbeiten?

Wohl eher nicht. Deshalb möchte man es wohl auch nicht wissen, und nennt das ganze "Bürokratiemonster".

Denn ein Monster kann nie etwas Gutes sein.
J.E.



Freitag, 19. Dezember 2014
Die gespaltene Münze
Der Kapitalismus, so lehrt uns schon Adam Smith im 18. Jahrhundert, ist vor allem so erfolgreich, weil er Arbeitsteilung nutzt. Es ist nicht mehr ein Handwerker, der ein ganzes Produkt herstellt, sondern unterschiedliche Arbeiter führen unterschiedliche Produktionsschritte durch, die dann in einem Produkt münden. So kann man viel mehr Güter herstellen, als wenn jeder das gesamte Produkt herstellen würde.

Diese Arbeitsteilung, die Produktion genormter Produkte am Fließband, war sicherlich ein Erfolgspfeiler der modernen Wirtschaft. Ohne sie wären die Produkte, die wir benutzen, viel teurer und viele von uns könnten sich nur einen Bruchteil von ihnen überhaupt leisten.

Aber wie es so oft der Fall ist, wenn eine Idee auf einem Gebiet erfolgreich war, versucht man diese Idee auf anderen Gebieten anzuwenden, wo sie eigentlich mehr schaden als nutzen. Nachdem der Kapitalismus die Arbeitsteilung eingeführt hatte, teilten die Volkswirtschaften ab dem Zeitalter der Globalisierung, welches um 1980 Fahrt aufnahm, die Wirtschaft in Konsumenten und Produzenten. Bisher hatte die Bevölkerung eines Landes die Produkte, die sie herstellte, auch weitestgehend selber konsumiert, finanziert aus den Einkünften, die sie bei der Produktion erhielt. Nun kam man auf die Idee, die Produktion in ferne, billige Länder zu verlagern, und diese Produkte dann nur noch vor Ort konsumieren zu lassen. Wie ein Konsument, der nicht produziert, Geld für den Konsum erhalten sollte, blieb ein Rätsel. Die steigenden Arbeitslosenzahlen und sinkenden Einkommen zeigten, dass dieses Rätsel nicht wirklich gelöst wurde.

Das Internet, welches um das Jahr 2000 anfing, unsere Welt zu dominieren, machte eine weitere Spaltung alltäglich: Die Aufspaltung zwischen Kunde und Nutzer.

Wenn man ein Auto kaufte, dann war man zugleich der Kunde des Herstellers wie auch der Nutzer des Produkts. Doch schon das Privatfernsehen verdiente sein Geld nicht durch die Zuschauer, sondern durch die werbetreibende Industrie. Die Zuschauer sind die Nutzer, die Industrie die Kunden. An den Kunden richtet man das Programm aus, was deshalb seicht und kritiklos ist - man könnte ja sonst die werbetreibende Industrie vergraulen.

Dieses Prinzip hat das Internet nun zum Lebensprinzip erhoben: Alles ist "umsonst". Schließlich leben die Internetfirmen ja von der Werbung (die letztlich auch der Bürger zahlt, aber das läuft eher indirekt und wird deshalb nicht wahrgenommen). Die Nutzer des Internets sind die Bürger, die Kunden sind die werbetreibende Industrie. An ihren Bedürfnissen richtet sich das Internet aus. Und ob das wirklich immer im Sinne der Nutzer ist, kann man bezweifeln.

Denn wenn man die zwei Seiten einer Münze trennt, erhält man nur wertlosen Schrott.
J.E.



Freitag, 7. November 2014
Gesundheitsrisiko
Die Krankheit Ebola wütet schon seit Monaten in Afrika. Erste Fälle gab es selbst in Europa und den USA. Doch über die Krankheit in Afrika hat man die Krankheit in Europa vergessen. Damit ist nicht die Schwäche der europäischen Wirtschaft gemeint, sondern das parasitäre Geschäftsmodell des EU-Landes Luxemburg.

Wie Journalisten zahlreicher internationaler Medien in einer beispiellosen Zusammenarbeit herausfanden, hat Luxemburg in großem Stil internationalen Konzernen dabei geholfen, Steuern zu vermeiden. Die Gewinne, die internationale Firmen irgendwo machten und dort hätten versteuert werden müssen, wurden einfach nach Luxemburg umgeleitet - wo sie mit lächerlich kleinen Steuersätzen von unter einem Prozent versteuert wurde. Da es sich hierbei aber um Abermilliarden Euro handelt, blieb genug übrig, damit Luxemburg das reichste Land Europas werden konnte, was das Pro-Kopf-Einkommen angeht (mit 110.000 Dollar ist es mehr als doppelt so groß wie das deutsche mit 44.000 Dollar).

Die Milliarden, die den europäischen Ländern beim Aufbau der Infrastruktur und des Gemeinwesens fehlen, konnten dank der luxemburgischen Großzügigkeit die Firmen in die eigene Tasche stecken - mit einer kleinen Korruptionsbeihilfe an den luxemburgischen Staat.

Aber wir sollten ehrlich bleiben: Wir erwecken gerade den Eindruck, dass das Verhalten der Verantwortlichen in Luxemburg und der internationalen Konzerne illegal war. Das war es natürlich nicht. Wenn ein Staat die Gesetze so strickt, dass Steuervermeidung legal wird, dann war das Verhalten der Firmen völlig legal. Käme Deutschland morgen auf die Idee, Banküberfälle zu legalisieren, dann hätten wir schnell einen neuen, blühenden Geschäftszweig.

Und so haben die Konzerne, die aufgrund der Aufdeckung ihrer Machenschaften nun in er Kritik stehen, natürlich recht, wenn sie sich darauf berufen, dass ihr Verhalten legal war. Dies gilt allerdings nicht, wie sie ebenfalls sagen, für den Diebstahl der Daten, der die Aufdeckung dieses Skandals erst ermöglicht hat. Die Journalisten sollte man an den Pranger stellen, nicht die rechtschaffenden Unternehmen.

Ein Wirtschaftssystem, das unmoralisches Handeln belohnt, kann nicht ganz richtig sein. Aber zum Glück hat die EU-Kommission im Fall Luxemburg die Untersuchung aufgenommen. Und sie wird den Fall mit aller Härte angehen.

Immerhin wird sie von Jean-Claude Juncker geleitet, dem Mann, der als Regierungschef das Luxemburger Modell ins Leben rief. Er kennt schließlich die Details am besten.

Und er hat auch die größte Erfahrung damit, sein eigenes Handeln zu legalisieren.
J.E.



Samstag, 27. September 2014
Für mehr Diskriminierung in der Wirtschaft
Die Überschrift mag verwundern. Kann man wirklich mehr Diskriminierung fordern? Gibt es nicht sogar - und das völlig zu Recht - ein Gesetz, welches sich gegen Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Hautfarbe oder der Religion fordert? Nun gut, bei Religion ist das Gesetz etwas nachsichtig, immerhin sollen die christlichen Unternehmen in Deutschland die Möglichkeit haben, Andersgläubige auszugrenzen.

Aber erst einmal ist Diskriminierung unmenschlich und sollte mit allen Mitteln bekämpft werden. Ohne Wenn und Aber.

Aber... keine Regel ohne Ausnahme.

Am gestrigen Freitag hat die EU-Kommission voller Stolz das mit Kanada ausgehandelte Freihandelsabkommen CETA vorgestellt. Natürlich enthält dieses Abkommen auch einen Passus über geheime Schiedsgerichte, die verhandeln sollen, wenn Unternehmen meinen, dass sie im Partnerland benachteiligt, also diskriminiert würden. Und dies könnte bei der Kennzeichnung für die kanadischen Ölsande passieren.

Die Förderung des Öls aus Kanadas Sanden ist hochgradig umweltschädlich. Die EU hat deshalb ins Gespräch gebracht, dass diese Öle besonders gekennzeichnet werden, damit der Kunde weiß, was er hier kauft. Das schmeckt den Ölunternehmen natürlich gar nicht. Nachher kauft niemand diese Öle, nur weil sie so umweltschädlich hergestellt werden. Die Ölindustrie fühlt sich von der EU diskriminiert - und wäre damit potentiell einer der ersten Kandidaten, die mal die Effektivität der geheimen Schiedsgerichte ausprobieren könnten. Frei nach dem Motto: Wenn ich meinen Müll nicht verkaufen kann, dann soll der Staat mich doch bitte dafür entschädigen.

Das erinnert an die Debatte über die Kennzeichnung von Gen-Nahrung. In der EU wird gentechnikfreie Nahrung gekennzeichnet. In den USA ist dies verboten. Die Kennzeichung sei irreführend und erwecke den Eindruck, dass Gentechnik ein erhöhtes Risiko berge als nicht gentechnisch veränderte Nahrung, so der Industrieverband der Gentechniker. Deshalb wolle man den Verbraucher nicht verunsichern und verzichtet lieber auf die Kennzeichnung. Sie sei diskriminierend.

Doch der Verbraucher würde schon gerne wissen, welche Nahrung gentechnisch verändert ist und welche nicht. Und er würde schon gerne wissen, welche Produkte umweltschädlich hergestellt werden, und welche umweltschonend. Hält uns die Industrie diese Information vor, dann stört sie den Markt.

Ein Markt kann nur funktionieren, er kann nur frei einen fairen Preis finden, wenn alle Informationen allen bekannt sind. Hält eine Seite wichtige Informationen zurück, dann muss ein Markt versagen. Für diese Erkenntnis bekam der amerikanische Ökonom Joseph Stiglitz im Jahr 2001 den Nobelpreis. So neu ist die Erkenntnis also nicht.

Mit ihrer Forderung gegen Diskriminierung wollen die Unternehmen also ein Marktversagen herbeiführen, von dem alleine sie profitieren. Wenn die Kunden dumm gehalten werden, kann man ihnen jeden Preis abnehmen. Fair ist der sicherlich nicht.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir in der Wirtschaft endlich mehr Diskriminierung haben.
J.E.



Freitag, 15. August 2014
Ich glaube an die Deutsche Bank...
Es war im Jahr 1978 als Marius Müller Westernhagen mit seinem Lied "Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz" seinen ersten großen Hit hatte. Eine Liedzeile blieb in Erinnerung: "Ich glaube an die Deutsche Bank, denn die zahlt aus in bar."

Die Deutsche Bank und Geld sind eng verwoben. Was soll man von einer Bank auch anderes erwarten? Doch die Deutsche Bank scheint noch einen Schritt weiter zu gehen. Für sie ist Geld nicht nur Mittel zum Zweck, es ist der ganze Grund ihres Daseins. "Zum Golde drängt, am Golde hängt doch alles", wie es in Goethes Faust heißt. Und ganz besonders das Handeln der Manager der Deutschen Bank.

So gibt es keinen Finanzskandal in den letzten Jahren, bei dem die Deutsche Bank nicht irgendwie beteiligt war. Waren es nun die fragwürdigen Hypotheken-Geschäfte oder die Manipulation des Libor. Überall, wo Geld zu machen war, hatte die Deutsche Bank ihre Hände im Spiel. Und wenn es eben dreckiges Geld war, dann war man auch nicht zu pingelig. Denn wie sagte schon der römische Kaiser Vespasian? "Geld stinkt nicht". Es ist völlig egal, aus welcher Ecke es kommt, Hauptsache ist, es kommt.

Moral scheint bei der Deutschen Bank ein eher esoterischer Begriff zu sein, mit dem man sich nicht weiter beschäftigt. Diese Einstellung scheint bis in den Vorstand zu reichen - und im Allgemeinen stinkt ein Fisch ja auch vom Kopf her. Jedenfalls will die Staatsanwaltschaft nun Anklage gegen den Vorstandsvorsitzenden Jürgen Fitschen wegen versuchten Prozessbetrugs im Kirch-Fall erheben. Ebenfalls wird untersucht, Fitschens Vorgänger Breuer und Ackermann anzuklagen. Zumindest Ackermann weiß ja schon, wie so ein Gerichtsverfahren abläuft.

Gerüchteweise ist die Deutsche Bank momentan weltweit in 1000 Prozessen verstrickt. Zumeist hat sie versucht, ihre Kunden zu eigenen Vorteilen über den Tisch zu ziehen. Verkaufte die Deutsche Bank Drogen, dann wäre die Justiz schon längst gegen sie als kriminelle Organisation eingeschritten. Aber solange es nur ums Geld geht...

Deshalb sollte man an die Deutsche Bank glauben. Sie wird nicht untergehen. Unkraut vergeht nicht.
J.E.



Samstag, 7. Juni 2014
Systemversagen
Diese Woche war Weihnachten - zumindest für die Spekulanten. Die Europäische Zentralbank senkte den Leitzins auf 0,15% - ein historisches Tief. So billig kamen Banken noch nie an Kredite, um sich zu finanzieren. Das Ziel ist klar: Noch immer leidet vor allem die Wirtschaft in Südeuropa unter den Folgen der Finanzkrise des Jahres 2008. Noch immer kommt bei den Firmen in diesen Ländern kaum Geld an, welches sie dringend für Investitionen brauchen. Und das, obwohl die Zinsen in Europa schon seit Jahren historisch niedrig sind.

Die Logik scheint klar: Die Zentralbank vergibt billige Kredite, damit die Banken das Geld an die Privatwirtschaft weitergeben, die mit dem Geld investiert und damit die Wirtschaft wieder antreibt. Nur die Banken geben das Geld nicht weiter. Sie horten es selber, nutzen es, um zu spekulieren (die Aktienstände erreichen neue Höchststände), und das, was sie nicht im Casino anlegen, bringen sie zurück zur EZB und kassieren dafür auch noch Zinsen. Die sind zwar gering, aber immer noch besser, als das Geld kriselnden Privatunternehmen zu geben.

Das will die EZB nun verhindern. Wird Geld bei der EZB geparkt, dann sollen die Banken nun darauf einen Strafzins von -0,1 Prozent zahlen. Außerdem stellt die EZB 400 Milliarden Euro verbilligtes Geld für die Banken in Aussicht, die die Privatwirtschaft unterstützen. Wobei "unterstützen" schon bedeutet, dass sie in den nächsten Jahren ihr Kreditvolumen an die Privatwirtschaft weniger stark verringern als in den letzten Jahren.

Das System der Zentralbanken geht unter anderem auf eine Idee des englischen Geschäftsmanns Walter Bagehot zurück, der im 19. Jahrhundert lebte. Er stellte sich vor, dass es eine Zentralbank geben sollte, die bei Wirtschaftskrisen, in denen die Privatbanken keine Kredite mehr geben, als "Lender of Last Resort", als Verleiher der letzten Zuflucht, tätig sein solle. Diese Zentralbank sollte die Kredite direkt an die Privatwirtschaft geben, die sie ja brauchte. Doch stattdessen geben unsere Zentralbanken das Geld den Privatbanken - die ja gar keine Lust haben, das Geld an die Wirtschaft weiterzuleiten, wie die EZB nun auch - nach knapp sechs Jahren - festgestellt hat, sondern es lieber nutzen, um auf eigene Kosten zu spekulieren.

Unser Zentralbanksystem gleicht einem Arzt, der seinen Patienten helfen will. Doch anstatt die Medikamente direkt dem Patienten auszuhändigen, überreicht er diese Drogenabhängigen, in dem Vertrauen, dass die all die Schmerzmittel und anderen Stoffe schon in vollem Maße an die Kranken weiterreichen werden.

Dass dies nicht funktioniert, hat die EZB nun endlich verstanden. Doch einen tiefgreifenden Systemwechsel wird es nicht geben. Immerhin sind die Banker diejenigen, die die Politik beraten, wenn es um Geldangelegenheiten geht.

Und welcher Junkie wird schon freiwillig auf seinen Stoff verzichten?
J.E.



Freitag, 8. November 2013
Der Wert des Geldes
Fragt man, welchen Wert das Geld hat, dann bekommt man die unterschiedlichsten Antworten. Ein Dagobert Duck, der für sein Leben gerne in Geld schwamm, wird Geld den höchstmöglichen Wert zuweisen. Eine Weissagung der Cree-Indianer besagt hingegen: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann." Unterschiedlicher kann man den Wert des Geldes wohl nicht einschätzen.

Doch wie schätzen wir heute, in unserer westlichen Zivilisation den Wert des Geldes ein? Spontan würde man sagen: Hoch. Ohne Geld ist man ein Nichts. Wenn man sich kein Auto leisten kann, keine anständige Kleidung, hin und wieder ausgehen und regelmäßig in den Urlaub fahren kann, dann gehört man einfach nicht dazu. Dann vegetiert man in seiner Sozialwohnung vor sich hin, während draußen das Leben spielt. Wenn man überhaupt eine Wohnung hat.

Andererseits sagen uns die Ökonomen, dass der Preis eines Produktes umso höher ist, je begehrter es ist und je kleiner sein Angebot ist. Deshalb kostet Gold, dessen letzte Reste die Bergbauunternehmen gerade aus dem Boden kratzen, auch so viel. Der Preis des Geldes ist der Zinssatz, den man dafür nimmt. Der Zinssatz ist jedoch Westen mittlerweile auf historisch niedrigem Stand, endgültig gilt dies, seitdem die Europäische Zentralbank (EZB) in dieser Woche den Leitzins auf 0,25% gesenkt hat. Geld, so sagt uns dies, ist nichts mehr Wert. Das Angebot ist viel zu groß und die Nachfrage vernachlässigbar.

Auf der einen Seite haben wir also die Bürger dieses Landes, die oft nicht wissen, wovon sie leben sollen, die jeden Cent gebrauchen können, weshalb sie aus der Not heraus auch bereit sind, exorbitant hohe Überziehungskredite zu zahlen, und auf der anderen Seite stehen die Kunden der EZB, die Banken Europas, die gar nicht mehr wissen, wohin mit dem vielen Geld, weshalb der Zins für sie gegen Null geht. Und die Banken sind keine anonymen Behörden, sondern hinter ihnen stehen Investoren, denen das Geld aus der Nase quillt.

Da ist sie wieder, die Zweiteilung der Gesellschaft. Auf der einen Seite die Reichen, die dem Geld keinen Wert mehr beimessen, auf der anderen Seite die Armen, die auf jeden Cent angewiesen sind. Und wenn die SPD, die Grünen und die Linke dann fordern, man solle die Steuern für die Reichen erhöhen, die dem Geld eh keinen Wert mehr beimessen, dann schreien Union und FDP unisono auf, dass dies doch unverschämt sei.

In Monty Pythons Film "Der Sinn des Lebens", gab es einen Gourmand, der den Mund nicht voll genug bekommen konnte. Schließlich explodierte der Vielfraß. Eine Explosion bahnt sich auch in unserer Gesellschaft an, die diese widersprüchlichen Kräfte nicht ewig wird aushalten können.
J.E.



Freitag, 2. August 2013
Gelddrucken für Fortgeschrittene
Die Zentralbanken haben ein beneidenswertes Privileg: Sie dürfen Geld drucken. Wollten Sie das zu Hause ebenfalls machen und mit ihren Kunstwerken beim Bäcker bezahlten, dann stände recht bald die Polizei bei ihnen vor der Tür. Und nicht nur, weil sie Sie mit dem selber gedruckten Geld den Urheberschutz der Zentralbanken verletzt haben.

Niemand außer den Zentralbanken hat das Recht, Geld zu drucken, und das aus gutem Grund: Je mehr Geld in einer Wirtschaft zur Verfügung stände, desto weniger wäre es wert. Druckte man nach Belieben Geld, dann stiege die Inflation - und die hübschen Scheine wären nichts mehr wert. Deshalb nimmt man Geldfälschern ihre Arbeit so übel.

Doch nicht nur die Geldmenge bestimmt den Wert des Geldes, auch die Umlaufgeschwindigkeit. Wenn man hundert Euro besitzt, und diese zum Ende des Monats ausgibt, und der neue Besitzer sie ebenfalls erst zum Ende des nächsten Monats ausgibt, dann wechseln über das Jahr gesehen 1200 Euro den Besitzer. Geben die Besitzer das Geld jedoch schon am Ende der nächsten Woche aus, dann sind es 5200 Euro. Je größer die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, desto mehr Geld sitzt im System.

Ein wichtiger Beschleuniger im System des Geldes sind die Banken. Leider dürfen sie Geld nicht drucken. Sie dürfen es sich jedoch leihen und wieder verleihen - und mit den Zinsgewinnen Geld verdienen. Die Banken bringen in erster Linie kein Geld in Umlauf, sondern Schulden. Je mehr Schulden Kreditnehmer bei einer Bank jedoch machen können, desto mehr Geld kommt in Umlauf. Deshalb hat der Gesetzgeber festgelegt, dass eine Bank nur ungefähr das Zehnfache des Eigenkapitals als Kredite vergeben darf. Das schränkt die Aktivitäten einer Bank natürlich ein.

Deshalb erfand man vor einigen Jahren die Kreditderivate. Nun konnten die Banken die von ihnen vergebenen Kredite als Wertpapiere verkaufen, womit die Kredite nicht mehr in den eigenen Büchern standen, und man wieder Luft hatte, weitere Kredite zu vergeben. Das Spiel ließ sich endlos weiterdrehen. Plötzlich schufen die Banken mit ihren Krediten nicht die zehnfache Geldmenge, sondern ein Vielfaches davon. Dank der Kreditderivate konnten sie endlich ihr eigenes Geld drucken.

Bis dann die Wirtschaft unter dem vielen Geld zusammenbrach.

Nun schwor die Politik, dass sie die Banken härter an die Leine nehmen wolle, und solche Aktivitäten zukünftig nicht mehr möglich sein. Gut, bisher ist nicht viel geschehen, aber "Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste" und so suchten sich die Geldhäuser andere Geldquellen, die beinahe so sicher waren wie Gelddrucken. Besonders kreativ war hier Goldman Sachs, die auch schon bei den Kreditderivaten eine unrühmliche Rolle gespielt hatten.

Goldman Sachs kaufte in den USA riesige Läger für Aluminium auf; denn die Ökonomie sagt, dass die Preise steigen, wenn ein Produkt knapp wird. Nun kann Goldman Sachs das Aluminium nicht einfach zurückhalten und den Preis künstlich in die Höhe treiben. Damit würde es seine Quasi-Monopolstellung ausnutzen, und dass könnte die Politik auf den Markt rufen, weil es wieder mal der Wirtschaft schadet. Und tatsächlich gibt es in den USA eine Vorschrift, dass die Aluminiumläger 3000 Tonnen Aluminium täglich ausliefern müssen, damit kein künstlicher Engpass entsteht. Und das macht Goldman Sachs, von denen man manchmal den Eindruck haben könnte, es handele sich um eine kriminelle Vereinigung mit Banklizenz, auch: Sie liefern 3000 Tonnen Aluminium täglich aus. Und lassen sie von LKWs in andere Aluminiumläger fahren, wo sie dann einige Tage später wieder zurück ins ursprüngliche Lager gekarrt werden. Warteten die Kunden bisher einige Tage auf ihre Aluminiumlieferung, beträgt die Lieferzeit heute bis zu 16 Monate. Und die Preise für das Metall steigen, was Goldman Sachs doppelt freut: Denn raten Sie mal, wer auf steigende Aluminium-Preise gewettet hat...

Schöner kann es auch nicht sein, sein eigenes Geld zu drucken.
J.E.



Samstag, 4. Mai 2013
Ein kleiner Rechenfehler
Die harte Sparpolitik in Europa ist nötig, dies hört man immer wieder. Als Beleg dafür dient eine wissenschaftliche Arbeit, die Kenneth Rogoff und Carmen Reinhard im Jahr 2010 vorgelegt haben. Kenneth Rogoff ist nicht irgendwer: Der Harvard-Professor war immerhin zwischen 2001 und 2003 Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, mithin eine Koryphäe auf seinem Gebiet.

Was sagt nun dieses Paper? Es belegt, dass eine hohe Verschuldung mit einem geringen wirtschaftlichen Wachstum einhergeht. Die Analyse zeigt, dass ab einem Verschuldungsgrad von 90% die Wirtschaft gar nicht mehr wächst, sondern vielmehr schrumpft. Also, so die Folgerung, darf man nicht zu viele Schulden machen, sonst gefährdet man das Wachstum. Oder umgekehrt: Macht keine Schulden mehr, dann wächst die Wirtschaft.

Diese Aussage widerspricht jeder Erfahrung, die man bisher hatte. So macht man die Sparpolitik des Reichskanzler Heinrich Brüning für die lange Rezession in den 1930er Jahren in Deutschland verantwortlich. Aber Rogoffs und Reinhards Aussage wurde willig von den Politikern aufgegriffen, die Südeuropa zum Sparen verpflichten wollten. Schließlich, so die Annahme, muss man dann weniger Geld zahlen.

Doch nun hat man die Arbeit der beiden Koryphäen noch einmal untersucht und kam zu dem Ergebnis: Die beiden können nicht mit Excel umgehen. Mit diesem komplizierten Werkzeug hatten sie nämlich ihre Daten analysiert. Dabei sind ihnen wohl einige Fehler unterlaufen. Abgesehen davon, dass sie die Daten von Ländern, die nicht in ihre Aussage passten, gar nicht erst in die Analyse mit aufgenommen hatten.

Unter dem Strich gibt es keine Korrelation zwischen einem hohen Schuldenstand und einem geringen Wachstum. Die schöne 90%-Regel ist zum Teufel. Was aber unsere Politiker nicht daran hindern sollte, dennoch weiter die Krisenländer zum Sparen aufzufordern.

Denn auch ohne diese Aufdeckung der Rechenfehler war Rogoffs und Reinhards Arbeit nicht das Papier wert, auf dem sie veröffentlicht wurde. Was hatten die beiden Ökonomen getan? Sie hatten Wirtschaftsdaten von verschiedenen Ländern genommen und sie analysiert. Das ist erst einmal ein guter Ansatz, vor allem in der Ökonomie, wirft man dieser Wissenschaft doch vor, sie beschäftige sich mehr mit mathematischen Beweisen als mit der Wirklichkeit.

Bei dieser Analyse kam nun heraus, dass eine Verschuldung von 90% mit Phasen geringen Wachstums bzw. einer Rezession verbunden sind. Daraus zu schließen, dass eine hohe Verschuldung eine Rezession versursacht, ist jedoch nicht gerechtfertigt. Im Sommer ist es ja auch so, dass viele Männer mit kurzen Hosen herumlaufen. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass wir einen warmen Tag haben, weil Männer mit kurzen Hosen herumlaufen. Die Kausalkette dürfte eher andersherum lauten.

Ähnlich dürfte es in diesem Fall sein: Die Wirtschaft lahmt nicht, weil die Verschuldung hoch ist, sondern die Verschuldung steigt, weil die Wirtschaft lahmt und der Staat neue Schulden machen muss. Sparen hingegen schafft kein Wachstum. Und genau das beobachten wir auch in den Südländern: Die Länder sparen - und die Wirtschaft schrumpft in einem nie gekannten Tempo, während die Arbeitslosigkeit auf neue Rekordstände steigt. Letztlich wird man ihnen mit mehr Geld helfen müssen, als man ursprünglich wollte. Wo hatten wir das schon einmal gesehen? Stimmt, in Deutschland, unter Brüning. Doch "history will teach us nothing", wie Sting einmal sang. Und so fordern wir weitere Sparkurse. Schließlich unterstützen uns die Ökonomen dabei, die doch so gerne Wissenschaftler sein wollen.

Vielleicht sollten Ökonomen doch besser davon Abstand nehmen, sich in die Realität einzumischen...
J.E.