Sonntag, 1. November 2020
Die Welt als Wille und Vorstellung
Am Dienstag wird in den USA gewählt. Die Bürger haben die Wahl zwischen Donald Trump und Joe Biden. Donald Trump ist ein notorischer Lügner, er hetzt die Menschen gegeneinander auf, er besitzt keinerlei moralischen Kompass und hatte keine Ahnung, wie er ein Land durch eine Krise wie die Corona-Epidemie führen sollte, weshalb er immer behauptete, die Krankheit würde bald von selbst verschwinden. Und dennoch hat Trump immer noch eine Chance, wiedergewählt zu werden. Zumindest werden ihm wohl mehr als vierzig Prozent der Amerikaner ihre Stimme geben.

Wie kann man einen solchen Menschen wählen? Wie können gerade extrem gläubige Christen wie die Evangelikalen diesen Mann wählen (bei der letzten Wahl bekam er rund 80 Prozent ihrer Stimmen, diesmal werden es wohl kaum weniger werden)? Dieser Mann steht doch jenseits von all dem, was man gemeinhin als anständig bezeichnet.

Das Geheimnis ist: Man wählt eigentlich nicht Trump. Die Menschen haben ihre Meinung zu politischen Themen, sie sind entweder für etwas oder gegen etwas. Die Wähler Trumps sind für die Themen der Republikaner und gegen die Themen der Demokraten. Und sie mögen Trump deshalb, weil er direkt ausspricht, was sie denken – und dazu gehört eben auch eine gehörige Portion Rassismus und das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, weil die USA auf der weltpolitischen Bühne, vor allem ihre Wirtschaft, nicht mehr so mächtig sind wie noch vor einigen Jahren.

Die Menschen identifizieren sich heute in den USA als Republikaner oder als Demokrat in einem Maße, wie dies vor fünfzig Jahren noch nicht der Fall war. Die Gesellschaft ist gespalten, in eine traditionelle Seite, die eher weiß ist, auf dem Land lebt und tiefreligiös ist, und eine progressive Seite, die bunt ist, in der Stadt lebt und mit Religion nicht mehr viel am Hut hat.

Man hat sein Lager gewählt – und das unterstützt man auf jeden Fall. Da ist es auch egal, wer das Lager gerade anführt. Denn der Mensch hat die wunderbare Fähigkeit, sich die Welt so zurechtzubiegen, dass sie in sein Weltbild passt. Die Welt als Vorstellung, die man nach dem eigenen Willen formt.

So schaut man als Republikaner übrr die Fehler Trumps hinweg. Die Hauptsache ist doch, dass er für die konservative Sache steht, gegen Ausländer ist, obwohl er die Eltern seiner Frau ins Land holte, gegen die Städter und ihre liberale Politik, obwohl er selber New Yorker ist, und gegen unreligiöse Umtriebe, obwohl er selber völlig unchristlich agiert. Doch über all diese Widersprüche schaut man hinweg, solange er nur für das eigene Lager kämpft. Und das macht Trump mit einem Engagement, das kaum ein anderer Politiker zeigt.

Deshalb hat er 2016 die Wahl gewonnen, und deshalb hat er immer noch Chancen, 2020 die Wahl zu gewinnen.
P.H.



Mittwoch, 21. Oktober 2020
Anzeichen für Rassismus
Nun soll das Wort Rasse aus dem Grundgesetz entfernt werden. Nach dem Terror des Nazi-Regimes, das die Menschen in unterschiedliche Rassen einteilte und dann einige als minderwertig ansah und ausrotten wollte, wollte man im Grundgesetz festschreiben, dass niemand wegen seiner Rasse benachteiligt werden darf. Eigentlich ein löbliches Vorhaben. Nur hat man mittlerweile verstanden, dass es keine menschlichen Rassen gibt. Es gibt nur Menschen.

Dennoch gibt es Rassismus. Leute anderer Religion, Hautfarbe oder Herkunft werden angriffen, beleidigt und ausgegrenzt. Und das ist auch der einzige Grund, weshalb man diese Menschen benachteiligt und beleidigt. Man beleidigt einen Ausländer nicht, weil er ein Krimineller ist, sondern nur, weil er anders ist. Das scheint schon Verbrechen genug zu sein.

Nun hat ein fanatischer Moslem in Paris einen Lehrer geköpft, weil dieser seiner Meinung nach seinen Glauben beleidigt hatte. Das mag sein. Doch dieser Attentäter übersieht dabei, dass er mit seiner gewalttätigen Auslegung des Islams jeden Tag den Glauben zahlreicher anderer Moslems beleidigt.

Aber nun hört man wieder: So sind sie halt die Moslems. Alle gewalttätig, fanatisch gläubig und kriminell. Das ist der Punkt, wo Rassismus beginnt: Wenn man den Einzelnen nicht mehr von der Gruppe unterscheidet.

Der Attentäter ist sicherlich gewalttätig, fanatisch gläubig und kriminell, kurz: Ein Arschloch. Aber warum soll das für alle Moslems gelten?

Der Attentäter von Halle war deutsch und hatte einen Heidenspaß daran, Menschen zu töten. Juden wären ihm zwar lieber gewesen, er nahm dann aber, was sich ihm bot.

Sind nun alle Deutsche deshalb gewissenlose Meuchelmörder? Dem sollten wir lautstark widersprechen.

Dann sollten wir aber auch lautstark der Meinung widersprechen, dass alle Moslems gewalttätig sind, nur weil einer gemordet hat.
P.H.



Sonntag, 4. Oktober 2020
Wenn Demokratie zur Farce wird
Demokratie, so heißt es im Lexikon, ist die Herrschaft des Volkes. Nun ist das Volk nur selten einer Meinung – mit Ausnahme von totalitären Systemen, in denen Menschen, die eine andere Abweichung haben, als Volksverräter weggeschlossen werden – und so entscheidet in der Demokratie die Mehrheit, was getan werden soll.

Allerdings haben die USA ein System entwickelt, in denen eine Minderheit entscheiden kann, was gemacht werden soll. Das demokratische System der USA hat einige Schwächen, welche vor allem die Republikaner für sich ausnutzen, um radikale Minderheitsmeinungen zur Politik in Washington zu machen.

So gibt es das System der Wahlmänner, welches dazu führt, dass ein Kandidat Präsident werden kann, auch wenn er landesweit nicht die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Mit der Ausnahme der Wiederwahl von George W. Bush hat seit seinem Vater George Bush kein republikanischer Präsident die Mehrheit der Stimmen erhalten – und dennoch wurden George W. Bush und Donald Trump Präsidenten der USA.

Im amerikanischen Senat hat jeder Bundesstaat zwei Stimmen – egal ob der nur gut eine halbe Million Einwohner hat wie Wyoming oder knapp 40 Millionen wie Kalifornien. Das führt dazu, dass in den USA 30 republikanische Senatoren aus Kleinstaaten genau viele Menschen repräsentieren wie zwei demokratische Senatoren aus Kalifornien.

Und dann gibt es noch das Phänomen des Gerrymandering, bei dem Wahlkreise so zugeschnitten werden, dass eine Partei (zumeist die Republikaner) die Mehrheit der Abgeordneten in einem Bundesstaat stellen können, auch wenn sie gar nicht die Mehrheit der Stimmen erhalten haben.

Das hat zur Folge, dass eine satte Mehrheit der Amerikaner sich eine allgemeine Krankenversicherung wünscht und kein Problem mit dem Recht zur Abtreibung hat – diese aber auf Bundesebene von den Republikanern mit allen Mitteln bekämpft werden können, weil sie zwar nicht das Volk repräsentieren, aber dennoch die Macht im Staate haben.

Dies führt jedoch dazu, dass sich nicht nur radikale Elemente, die sich einen totalitären Staat wünschen, von der Demokratie abwenden, sondern auch Durchschnittswähler, die eigentlich in einem demokratischen Land leben wollen, aber nicht sehen, dass es demokratisch regiert wird.

In Deutschland gibt es diese extremen Probleme nicht – bei uns gewinnt die Partei, die die meisten Stimmen hat, die Bundesländer haben im Bundesrat Stimmen ungefähr im Verhältnis nur Einwohnerzahl, und die Wahlkreise werden nicht von Politikern, sondern von einer unabhängigen Kommission festgelegt. Doch der Frust mit der Demokratie, der in den USA wächst, weil die Demokratie dort zur Farce verkommt, schwappt auch nach Deutschland über.

Wir müssen wachsam sein, dass wir davon nicht angesteckt werden.
K.M.



Samstag, 19. September 2020
Selbst disqualifiziert
In den Zeiten des Kalten Krieges waren die Fronten klar: Die Linken waren für die Russen, respektive die Sowjetunion, und haben sie in jedem Fall verteidigt, egal was vorgefallen war, die Rechten waren dagegen.

Doch nun wird Russland seit Jahren von Putin regiert, der keinen Hehl daraus macht, dass er rechte Kräfte unterstützt. So mischte er sich für Donald Trump in die Wahlen in den USA ein, so zählen AfD-Abgeordnete zu seinen guten Freunden. Russland war vielleicht mal das Heimatland der Linken, doch nachdem Oligarchen von Putins Gnaden die Macht übernommen haben, ist es ein erzkapitalistisches, reaktionäres Land geworden.

Neoliberale, kapitalistische Denkweisen haben in den letzten Jahren ohnehin überall an Boden gewonnen. In Deutschland erlebten sie einen Höhepunkt mit der Agenda 2010, die ausgerechnet ein sozialdemokratischer Kanzler vorgestellt hat. Aber er wollte eben der „Genosse der Bosse“ sein – und deswegen brauchte es die Agenda 2010.

Die SPD hat sich damit jedoch ins Aus manövriert, wenn es um soziale Politik gibt. Diese Lücke könnte Die Linke einnehmen und damit eine echte Opposition in Deutschland bieten. Doch dafür muss sie zeigen, dass sie eine demokratische Partei ist, und ihre diktatorischen Wurzeln in der SED überwunden hat.

Eine gute Gelegenheit hätte es nun gegeben, als der russische Oppositionelle Nawalny offensichtlich in Russland vergiftet wurde. Doch reflexhaft nahmen führende Linken-Politiker die russische Führung in Schutz. Der Abgeordnete der Linken Klaus Ernst fragte: „Wem nutzt die Vergiftung Nawalnys? Etwa Putin? War Nawalny so gefährlich, nach 76 Prozent für Putin 2018?“

Dass diese 76 Prozent nicht in einem demokratischen Prozess zustande gekommen sind, scheint Herr Ernst übersehen zu haben. Und tatsächlich ist Nawalny eine der lautesten Kritiker des Putin-Regimes – der immer wieder Misswirtschaft und persönliche Bereicherungen von führenden Politikern aufdeckt. Herr Nawalny ist für Putin eine Gefahr. Für den Putin, der seine Zeit damit verbringt, rechtspopulistische Gruppierungen überall auf der Welt zu unterstützen.

Wieso ihn dann ausgerechnet die Linke unterstützt, bleibt offen. Es scheint, als seien die Automatismen aus der SED-Zeit bei den Linken immer noch aktiv. Und das ist schade; denn Deutschland könnte eine linke Opposition wirklich brauchen.

Doch die Linken haben sich wieder einmal selbst disqualifiziert.
J.E.



Freitag, 4. September 2020
Widerstand!
Eine merkwürdige Mischung aus Leuten demonstrierte am letzten Wochenende in Berlin: Alt-Hippies liefen neben Rechtsradikalen, Alternative neben Reichsbürgern. Sie alle einte, dass sie ihre Freiheiten durch die Maßnahmen gegen das Corona-Virus eingeschränkt sahen. Und sie riefen zum Widerstand gegen den Staat auf, der ihre Freiheiten einschränkte.

Dass die Maßnahmen Infektionen verhindern, dass sie Leben retten, war ihnen nicht so wichtig wie die Tatsache, dass sie die Freiheit einschränkten. Und die Freiheit ist ihnen wichtiger als alles andere.

Sicherlich ist die Freiheit wichtig. Man könnte keine Kritik üben, wenn es keine Freiheit gäbe, und die Möglichkeit, Kritik zu üben, ist ein fundamentales Recht ein einer Demokratie. Dennoch kann es keine grenzenlose Freiheit geben. Es gibt auch einen guten Grund, warum man nicht mit 200 km/h durch eine geschlossene Ortschaft fahren darf. Grenzenlose Freiheit ist Anarchie.

In der Anarchie setzen sich nur die Stärksten und Rücksichtslosesten durch. Der Staat ist die Macht, die mit ihren Regeln eine Anarchie verhindert. Die Rechtsextremen und Reichsbürger wollen den Staat abschaffen, um ihre Ansichten rücksichtslos durchzusetzen. In aller Bescheidenheit halten sie ihre Ansicht für die Ansichten des Volkes.

Andere Meinungen werden von ihnen aber nicht mehr zugelassen, sondern denen begegnen sie mit Gewalt und Hass. Menschen mit anderer Meinung bekämpfen sie als „Volksverräter“.

Ihre Vorstellung von Freiheit ist rein egoistisch. Ihnen soll alles erlaubt sein, anderen nichts. Ihre Vorstellung von Freiheit führt über Anarchie zur Diktatur.

Um dem gilt es, Widerstand zu leisten.
P.H.



Freitag, 28. August 2020
Alles nur eine Frage der Hygiene
Warum werden wir heutzutage nicht mehr so von Infektionskrankheiten wie Masern, Pocken oder Polio heimgesucht, wie noch unsere Vorfahren vor 100 Jahren? Die Schulmedizin hat darauf eine Antwort: Weil es Impfungen gibt, die verhindern, dass wir krank werden.

Doch viele Menschen haben darauf eine ganz andere Antwort: Es liegt an der besseren Hygiene. Wir waschen uns mehr, unser Wasser ist sauber, wir reinigen unsere Häuser und unser Umfeld häufiger, und deswegen haben Krankheiten keine Chance. Impfungen spielen da gar keine Rolle, im Gegenteil: Sie sind sogar gefährlich, weshalb man sie tunlichst meiden sollte.

Wir können wir entscheiden, welche Aussage korrekt ist? Nun, werfen wir doch einmal einen Blick nach Afrika. Die Weltgesundheitsorganisation hat in diesen Tagen Polio in Afrika für ausgerottet erklärt. Seit über vier Jahren ist dort kein Fall von Kinderlähmung mehr aufgetreten. Liegt dies an den überragenden hygienischen Verhältnissen in Afrika? Die Armut ist auf diesem Kontinent immer noch hoch, viele Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, von hygienischen Verhältnissen, die wir in Europa für selbstverständlich halten, können diese Menschen nur träumen.

Andererseits wurde in Afrika seit Jahren mit großem Aufwand gegen Polio geimpft. Und die Menschen in Afrika nahmen diese Impfungen gerne an, weil sie tatsächlich glaubten, sie würden helfen.

Und das scheinen sie ja auch getan zu haben.

Aber vielleicht haben sie auch nur Hygienemaßnahmen eingeführt, die wir auf den ersten Blick nicht erkennen können. Es kann ja schließlich nicht sein, dass der „Mainstream“ Recht hat.
K.M.



Freitag, 7. August 2020
Arroganz
Deutschland kommt gut durch die Corona-Krise. Das ist ja auch kein Wunder, möchte man meinen. Wir sind ja schließlich ein besonderes Land. Wir haben die besten Unternehmen. Wir haben die am härtesten arbeitende Bevölkerung. Wir sind sparsam und tugendhaft.

Aber… tatsächlich ist es so, dass in vielen Ländern der Welt deutlich länger gearbeitet wird als in Deutschland, so in den USA, wo Gewerkschaft es nicht geschafft haben, für kürzere Arbeitszeiten und längeren Urlaub zu kämpfen, aber auch in Südeuropa, was uns schon wundert, schließlich gelten die Südeuropäer doch als ziemlich faul.

Aber immerhin sind wir sparsam. Was aber auch nicht stimmt. Die durchschnittlichen Vermögen der Deutschen sind geringer als die vieler anderer Europäer, auch wieder der Südeuropäer. Kein Wunder, möchte man da rufen, die leben doch von unserem Geld. Es könnte aber auch sein, dass diese Nationen andere Prioritäten setzen. Sobald man eigenes Geld verdient, versucht man in Spanien, sich eine eigene Wohnung zu kaufen. In Deutschland will man eher einen Oberklassewagen. Die Wohnung ist auch noch nach zehn Jahren da und wahrscheinlich im Wert gestiegen. Der Wagen hat nur noch Schrottwert.

Aber unsere Unternehmen sind doch Weltklasse. Aber das Thema lassen wir lieber. Schwarze Kassen bei Siemens, der Wirecard-Skandal, eine Deutsche Bank, die von Verbrechen zu Verbrechen schlittert. Die deutsche Wirtschaft ist sicher nicht tugendhaft. Seit ein paar Jahren hat man eher den Eindruck, dass die deutschen Manager in irgendeiner Bananenrepublik ihr Handwerk gelernt haben.

Deutschland spielt sich jedoch gerne als Lehrmeister auf. Es sagt vor allem den Südländern gerne, wie diese zu handeln haben. Denn Deutschland ist stark, zumindest im Moment. Doch wie die Geschichte zeigt, bleibt kein Land auf ewig stark. Es werden auch andere Zeiten kommen.

Und woran wird man sich dann bei Deutschland erinnern? Vor allem an unsere Arroganz.

Hoffentlich haben wie die Hilfe dann nicht dringend nötig.
J.E.



Sonntag, 26. Juli 2020
Immer diese Bürokratie
Nervt Sie das auch so? Man hat den Eindruck, dass die Bürokratie immer schlimmer wird. Nun ist Wirecard spektakulär Pleite gegangen, und schon gibt es neue Ideen aus dem Finanzministerium , wie man Firmen besser überwachen kann – was dann auch wieder mehr Bürokratie bedeutet.

Andererseits hat gerade das Land Berlin Erfahrungen mit wenig Bürokratie gemacht. Es wollte die Corona-Hilfen schnell auszahlen, und hat den Antrag deshalb sehr einfach gestaltet. Mit der Folge, dass es zu zahlreichen Betrugsfällen kam.

Das ist die Krux an der Bürokratie: Eigentlich will sie keiner. Auch der Staat und seine Beamten sind keine Organisation, die das Leben auf jeden Fall komplizierter machen will. Das Problem ist nur: Dann gibt es einige Hersteller, die ihre giftigen Abfälle in der Umwelt entsorgen, und schon muss man Protokoll darüber führen, wie die Abfallentsorgung läuft. Dann gibt es Händler, die ihre Einnahmen nicht versteuern, und schon muss jeder Händler bei einem Verkauf einen Bon verteilen. Dann gibt es…

Man könnte die Liste ewig weiterführen. Klar ist nur: Bürokratie ist kein Selbstzweck. Sie entsteht nicht, weil sich ein paar Beamte langweilen, sondern weil es ein paar Menschen gibt, die sich nicht an die Regeln halten. Und wegen dieser Ausnahmen müssen nun alle genauer kontrolliert werden; denn leider weiß man nicht, wer die Ausnahmen sind. Sonst könnte man sich auf diese beschränken.

Wer über zu viel Bürokratie jammert, sollte nicht dem Staat die Schuld geben, sondern den Kollegen, die keine Lust hatten, sich an Regeln zu halten.
K.M.



Samstag, 4. Juli 2020
Independence Day
Heute, am 4. Juli, feiern die USA ihren Unabhängigkeitstag, die Unabhängigkeit von der britischen Krone. Aber wer genau feiert da? Die weißen Siedler aus Europa, die die Ureinwohner der USA unterworfen haben, feiern ihre Unabhängigkeit vom Joch der Briten. Die Ureinwohner wurden nicht unabhängig vom Joch der Siedler. Sie haben nichts zu feiern.

Auch die Schwarzen Bewohner der USA haben nichts zu feiern. Sie waren vor der Unabhängigkeit Sklaven – und sie blieben auch nach der Unabhängigkeit Sklaven. Es sollte noch knapp ein Jahrhundert dauern, bis sie formell frei waren und noch einmal ein Jahrhundert, bis sie formell die gleichen Rechte hatten wie die weißen Siedler. Tatsächlich gleichberechtigt sind sie bis heute nicht.

Aber wir sollten vorsichtig sein, wenn wir mit dem Finger auf den Rassismus in den USA zeigen. Die Weißen dort haben sich nicht wirklich mit Ruhm bekleckert. Doch diese Weißen, das sind wir, die Europäer. Wir haben die Idee der Überlegenheit der christlichen Kultur und der weißen, „arischen“ Rasse in die Welt getragen und andere – Juden, Moslems, Schwarze, Eingeborene – als Untermenschen betrachtet – und betrachten sie auch heute oft noch so.

Dabei ist der Hass auf andere dort am größten, wo man kaum mit den Anderen in Kontakt tritt. Wenn man die Anderen erst einmal kennenlernt, dann fällt einem auf: Guck, es sind Menschen. Und damit sind sie gar nicht so verschieden von uns. Was natürlich auch bedeutet, dass es bei den Anderen ausgesprochene Rindviecher geben kann.

Unabhängig werden die USA, werden wir alle erst sein, wenn wir verstehen, dass es nur Menschen gibt – unabhängig von der Hautfarbe und dem Aussehen.
P.H.



Samstag, 13. Juni 2020
Keiner von uns
Der Rassismus hat wieder sein hässliches Gesicht gezeigt. In aller Seelenruhe drückte ein Polizist einem Schwarzen in den USA über acht Minuten die Luft ab, bis er schließlich starb. George Floyd wurde damit zu einem neuen Symbol des Rassismus in den USA. Schlimmer noch: Der Staat zeigte sich recht nachsichtig. Erst wurde keiner der vier beteiligten Polizisten angeklagt, dann zumindest der Haupttäter, und schließlich alle vier. Denn auch unterlassene Hilfeleistung ist ein Verbrechen. Selbst für Weiße.

Der Rassismus in den USA ist ein Teil der Gründungsgeschichte der USA, die als Gesellschaft von Sklavenhaltern begonnen hat. Nach dem Bürgerkrieg wurde die Sklaverei beendet, und es gab sogar Entschädigungen – für die Sklavenhalter, die ihre preisgünstigen Arbeitskräfte verloren hatten, nicht für die Sklaven, die wie Tiere gehalten worden waren.

Eine Aufarbeitung dieser Zeit hat nicht stattgefunden. Erinnerungsstätten wie die Nazi-Erinnerungsstätten in Deutschland, wo Verbrechen als Verbrechen dargestellt werden, gibt es in den USA nicht. Sklaverei war nur eine Episode, kein Verbrechen.

Aber wir sollten auch in Deutschland nicht mit Steinen schmeißen; wir sitzen selber im Glashaus. Hat man einen fremdländisch klingenden Namen, dann bekommt man schlechter einen Job, man hat es schwieriger, eine Wohnung zu bekommen, und man wird bei dunklerer Hautfarbe öfter von der Polizei angehalten.

Schließlich ist er keiner von uns.

Und wir scheinen auch nicht zu wollen, dass er eine von uns wird. Der Hass soll weiterleben. Wir sind schließlich Christen.
J.E.