Die Welt als Wille und Vorstellung
Am Dienstag wird in den USA gewählt. Die Bürger haben die Wahl zwischen Donald Trump und Joe Biden. Donald Trump ist ein notorischer Lügner, er hetzt die Menschen gegeneinander auf, er besitzt keinerlei moralischen Kompass und hatte keine Ahnung, wie er ein Land durch eine Krise wie die Corona-Epidemie führen sollte, weshalb er immer behauptete, die Krankheit würde bald von selbst verschwinden. Und dennoch hat Trump immer noch eine Chance, wiedergewählt zu werden. Zumindest werden ihm wohl mehr als vierzig Prozent der Amerikaner ihre Stimme geben.

Wie kann man einen solchen Menschen wählen? Wie können gerade extrem gläubige Christen wie die Evangelikalen diesen Mann wählen (bei der letzten Wahl bekam er rund 80 Prozent ihrer Stimmen, diesmal werden es wohl kaum weniger werden)? Dieser Mann steht doch jenseits von all dem, was man gemeinhin als anständig bezeichnet.

Das Geheimnis ist: Man wählt eigentlich nicht Trump. Die Menschen haben ihre Meinung zu politischen Themen, sie sind entweder für etwas oder gegen etwas. Die Wähler Trumps sind für die Themen der Republikaner und gegen die Themen der Demokraten. Und sie mögen Trump deshalb, weil er direkt ausspricht, was sie denken – und dazu gehört eben auch eine gehörige Portion Rassismus und das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, weil die USA auf der weltpolitischen Bühne, vor allem ihre Wirtschaft, nicht mehr so mächtig sind wie noch vor einigen Jahren.

Die Menschen identifizieren sich heute in den USA als Republikaner oder als Demokrat in einem Maße, wie dies vor fünfzig Jahren noch nicht der Fall war. Die Gesellschaft ist gespalten, in eine traditionelle Seite, die eher weiß ist, auf dem Land lebt und tiefreligiös ist, und eine progressive Seite, die bunt ist, in der Stadt lebt und mit Religion nicht mehr viel am Hut hat.

Man hat sein Lager gewählt – und das unterstützt man auf jeden Fall. Da ist es auch egal, wer das Lager gerade anführt. Denn der Mensch hat die wunderbare Fähigkeit, sich die Welt so zurechtzubiegen, dass sie in sein Weltbild passt. Die Welt als Vorstellung, die man nach dem eigenen Willen formt.

So schaut man als Republikaner übrr die Fehler Trumps hinweg. Die Hauptsache ist doch, dass er für die konservative Sache steht, gegen Ausländer ist, obwohl er die Eltern seiner Frau ins Land holte, gegen die Städter und ihre liberale Politik, obwohl er selber New Yorker ist, und gegen unreligiöse Umtriebe, obwohl er selber völlig unchristlich agiert. Doch über all diese Widersprüche schaut man hinweg, solange er nur für das eigene Lager kämpft. Und das macht Trump mit einem Engagement, das kaum ein anderer Politiker zeigt.

Deshalb hat er 2016 die Wahl gewonnen, und deshalb hat er immer noch Chancen, 2020 die Wahl zu gewinnen.
P.H.