Freitag, 23. August 2019
Der Staat bin ich
Dieser Ausspruch des französischen Königs Ludwig XIV. ist legendär: L’état, c’est moi, der Staat bin ich. Er konnte dies auch mit voller Überzeugung sagen, als absolutistischer Herrscher bestimmte er alles: Die Finanzen, die Politik, die Justiz – was er wollte, war Gesetz – und er selber stand über dem Gesetz.

Dies galt für alle absolutistischen Herrscher. Charles I. von England wurde von Adeligen verklagt, weil er gegen das Gesetz verstoßen habe – der Richter wies die Klage ab, da sie unsinnig sei – schließlich sei der König das Gesetz, und könne deshalb nicht dagegen verstoßen.

Heutige Demokratie erlauben nicht mehr, dass Menschen sich außerhalb des Gesetzes platzieren – zumindest nicht auf Dauer. Doch die neuen Populisten wollen das nicht akzeptieren. Sie wollen das Recht so handhaben, wie es ihnen passt. Allgemeingültige Regeln interessieren sie nicht. Sie verstehen sich als neue, absolutistische Herrscher.

Der italienische Innenminister Salvini von der Lega entscheidet eigenmächtig, wer ins Land darf – und wann man auch schon mal Hilfe unterlassen kann. Der britische Premier Johnson scheint zu planen, dass Parlament zu umgehen, um den Brexit endlich durchzuziehen. Die polnische PiS-Partei macht sich die Richter und die Medien gefügig, wie auch Erdogan in der Türkei oder Orban in Ungarn. Und der amerikanische Präsident Trump – der übt Druck auf die Zentralbank aus, damit sie eine Geldpolitik nach seinem Sinn macht, lässt Kinder an der Grenze von ihren Eltern trennen oder behindert die Justiz.

Was bei den Fans dieser Populisten als starke Politik ankommt, ist eine eklatante Missachtung demokratischer Spielregeln – und der klare Hinweis, dass der nächste Schritt die Diktatur sein wird. Doch in einer Diktatur gewinnen nur wenige – die meisten verlieren.
J.E.



Samstag, 27. Juli 2019
Verabreicht die Medizin, bis der Patient stirbt
Seit dem großen Crash 2008 gab es keine größere Rezession mehr. Die Wirtschaft wächst weltweit, in dem einen Land etwas stärker, in dem anderen etwas schwächer. Um die Wirtschaft anzukurbeln, hatten die Notenbanken weltweit die Zinsen gesenkt. In den USA und Europa sogar bis auf null Prozent. Dieser Stimulus sollte so lange weitergehen, wie die Inflation auf niedrigem Niveau war.

In den USA hatte man vor einigen Quartalen wieder angefangen, die Zinsen anzuheben. Dort liegt man nun bei knapp 2,5 Prozent. In Europa hat man sich das noch nicht getraut. Der große Boom blieb vor allem in den Südländern aus, also ließ man die Zinsen bei Null – und für die Einlagen der Banken bei der Zentralbank verlangt man sogar einen Strafzins von 0,4 Prozent. Man konnte es sich leisten. Die Inflation blieb niedrig.

Doch nun schwächelt die Wirtschaft wieder – und die Zentralbanken wollen die Wirtschaft ankurbeln, in dem sie die Zinsen senken. Auch die Europäische Zentralbank will die Zinsen senken – selbst, wenn diese immer noch bei null Prozent sind. Man wird wohl die Strafzinsen weiter erhöhen und so jeden bestrafen, der Geld spart.

Die Idee ist immer noch dieselbe: Mit billigem Geld kurbelt man die Wirtschaft an. Dass dann die Inflation steigt, muss man für eine gewisse Zeit in Kauf nehmen.

Frustrierend ist nur: Selbst Zinsen von Null Prozent haben nicht zu einem Wirtschaftsboom geführt, und die Inflation bleibt niedrig. Könnte es sein, dass das Rezept nicht funktioniert? Könnte es sein – man wagt es kaum auszusprechen – dass die Ökonomen sich irren und billiges Geld nicht zu einem Wirtschaftswachstum führt?

Nein, das kann nicht sein. Ökonomen können sich nicht irren. Wenn die Maßnahmen keine Effekte zeigen, dass kann das nur heißen, dass die Maßnahmen nicht weit genug gingen. So dachten auch die Ärzte des Mittelalters: Wenn trotz Aderlass der Patient nicht gesund wurde, dann ließ man eben noch mehr Blut ab.

Der Patient starb zwar, aber zumindest hatte man alles getan, was man konnte.
P.H.



Freitag, 12. Juli 2019
Rettet mich bloß nicht
Es ist ein Trauerspiel, was sich im Mittelmeer ereignet. Tausende sind auf der Flucht und versuchen über das Mittelmeer Europa zu erreichen. Tausende sterben bei diesem Versuch. 2018 waren es über 2000 Menschen , die dabei ums Leben kamen. Soll man sie verrecken lassen? Wenn es nach einigen „Menschenfreunden“ geht, offensichtlich schon.

Als die Sea Watch unter ihrer Kapitänin Carola Rackete Menschen aus Seenot gerettet hatte und in Italien anlegen wollte, wurde ihr das von Innenminister Matteo Salvini verwehrt. Zwar ist jedes Land verpflichtet, aus Seenot gerettet aufzunehmen, aber Salvini versteht sich als Vertreter des Volkes – mit Menschlichkeit hat er nichts am Hut.

Rackete legte trotzdem an – und Salvini beschimpfte sie über die „sozialen“ Medien als „Kriminelle“ und als „Gesetzlose“. Seine Follower fühlten sich dann ermutigt, weitere Beschimpfungen hinzuzufügen wie „verdorbene Nutte“ oder die Forderung: „Betoniert sie ein.“ Angestachelt von Salvini brach eine Hetzkampagne gegen Rackete los. Ihr Verbrechen? Sie hatte Menschenleben gerettet.

Was für eine Moral leben diese Menschen eigentlich? Die Goldene Regel verlangt: „Was Du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“ Das eigene Verhalten soll so sein, als ob es ein allgemeines Gesetz wäre, wie Kant dies in seinem kategorischen Imperativ formulierte.

Was also wollen diese Menschen, was will Salvini? Wenn er in Seenot gerät – möchte er dann auf keinen Fall gerettet werden? Möchte er lieber ersaufen und elendig verreckten? Wohl kaum.

Aber Salvini macht eben einen feinen Unterschied zwischen Herrenrasse und Untermenschen. Dass dies nicht nur die Hölle für die Untermenschen bedeutet, hat Herr Salvini wohl nicht verstanden. Wer sich dem Hass ergibt, hört eben auf zu denken und verliert jede Menschlichkeit.
J.E.



Freitag, 21. Juni 2019
Hass auf die EU
Die EU, so sagen uns vor allem rechte politische Kräfte immer wieder, ist unser großer Feind. Alles böse unter der Sonne komme von der EU – sei es eine Steuerpolitik, die die Reichen bevorzugt, eine Sozialpolitik, die die Armen benachteiligt, oder andere Entscheidungen, die gegen das Volk sind. Die EU, so das Credo der Rechten, muss weg.

Und diese Woche bekamen sie wieder Wasser auf die Mühlen. Da hat doch der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die Ausländermaut – also die PKW-Maut, die nur die Ausländer belastet – gegen EU-Recht verstößt, weil dieses vorschreibt, dass EU-Bürger nicht diskriminiert werden dürfen. Dabei hatte sich die CSU für ihr Lieblings-Ausländer-Hass-Projekt doch solche Mühe gegeben. Sie hat die Ausländermaut in Infrastrukturabgabe umbenannt, damit der wahre Zweck nicht so offensichtlich war, und sie hat ein kompliziertes System von Tarifen aufgestellt, die letztlich jedoch nur verbergen sollten, dass die Deutschen de facto keine Maut zahlen, die Ausländer schon.

Und mit seiner Entscheidung, die von der CSU als „unverständlich“ kommentiert wurde, schadet der EuGH nun den Deutschen. Doch: Wenn man genauer darüber nachdenkt, dann hat wohl eher die CSU Deutschland geschadet, indem sie so unverfroren eine Maut zu lasten der Ausländer einführen wollte – die eigentlich unsere Freunde und Partner sein sollten. Den Krieg gegen unsere Freunde hat die CSU begonnen. Der EuGH hat sie nur gestoppt.

Und so stoppt Europa viele unsinnige Entscheidungen nationaler Politiker, auch in Deutschland. Die Gülle-Verordnung, die nicht verhindert, dass unser Grundwasser vergiftet wird, ist nur ein weiteres Beispiel. Die EU, so könnte man meinen, schützt uns vor selbstsüchtigen Politikern im eigenen Land.

Und was ist mit der unsozialen Politik? Nun, die wird gar nicht von der EU verantwortet, sondern von nationalen Politikern. Vielleicht sollte die EU auch hier mehr Mitspracherecht habe, um zu verhindern, dass rechte Politiker weiterhin eine unsoziale Politik betreiben.

Dann würde der Hass der Rechten auf die EU, die ihnen verbietet, eine gemeingefährliche Politik zu betreiben, allerdings weiter steigen.
P.H.



Samstag, 8. Juni 2019
Warum wir ARD und ZDF brauchen
Es gibt ja einige, die die Abschaffung oder Privatisierung der öffentlich-rechtlichen Sender fordern. Niemand soll verpflichtet sein eine „Zwangsabgabe“ zahlen, nur um unabhängigen Journalismus zu ermöglichen. Und so unabhängig sei der ja gar nicht, auch wenn viele Beiträge die Regierung kritisieren. Journalistische Beiträge können aber auch genauso gut von privaten Medienunternehmen bereitgestellt werden.

Schauen wir uns doch mal an, was private Medienunternehme unter Journalismus verstehen. Der Sender n-tv hat eine Serie mit dem Titel „Mega Brands“, in der Dokumentationen über großen Marke gesendet werden. Am 04. Juni 2019 gab es zum Beispiel eine Folge über die Münchener Firma Osram. Die journalistische Arbeit hielt sich jedoch in Grenzen: Die Sendung bestand zu 90 Prozent aus Werbeclips, die Osram vorher schon in sozialen Medien veröffentlicht hatte. Dazwischen gab es einige Anmerkungen von drei Top-Managern der Firma, darunter auch dem aktuellen CEO, Dr. Olaf Berlien, der sich allen immer mit „Ich heiße Ber-lien und komme aus Berlin“ vorstellt. Die Recherche der Macher war jedoch so oberflächlich, dass der Sprecher seinen Namen permanent als „Ber-li-en“ aussprach.

Kurz: Die Sendung war eine reine Werbesendung für Osram, kritische Bemerkungen über die Firma, die gerade eine schwere Transformation durchmacht, waren nicht zu hören. Dafür hätten die Macher aber wahrscheinlich auch recherchieren müssen, was mit dem knappen Budget wohl nicht möglich war. Lieber ließ man sich von Osram mit Werbeclips beliefern und ordnete diese hübsch an.

Für beide Seiten war es eine Win-Win-Situation: Osram bekam 45 Minuten kostenlose Werbung, n-tv durfte für 45 Minuten so tun, als wären sie journalistisch aktiv – und konnte das Programm füllen. Auf der Strecke blieb der Zuschauer, für den diese Werbesendung nicht als Werbung zu erkennen war, da sie als „Dokumentation“ angepriesen wurde.

Aber wo werden Dokumentationen in Zukunft aussehen, wenn der Journalismus allein ökonomischen Werten unterworfen ist.
J.E.



Freitag, 31. Mai 2019
Straches Coming-Out
Die Rechtspopulisten haben eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht. Alle, tatsächlich alle, ob sie sich nun AfD, FPÖ oder Rassemblement National (früher: Front National) nennen, haben als neoliberale Parteien angefangen. Sie wollten den Staat stutzen, damit ein paar Superreiche und die Eliten machen können, was sie wollen.

Sie haben allerdings schnell erkannt, dass diese Politik keine Politik ist, mit der man Mehrheiten gewinnen kann. Und sie spielen sie nun den Populisten und behaupten, eine Politik für die Armen und Vergessenen machen zu wollen. Auf dem Weg dahin haben sie sich mit den Rechtsextremisten verbündet, die, man wundert sich nicht, natürlich auch den demokratischen Staat stutzen wollen.

Doch nun hatte Strache sein Coming-Out auf Ibiza. Er wurde dabei gefilmt, wie er einer vorgeblichen russischen Oligarchin Aufträge in Österreich versprach, wenn diese seiner Partei spendete und sie, z.B. durch den Kauf der Kronen-Zeitung, propagandistisch unterstützte, damit er an die Macht komme. Einmal an der Macht, wollte er sich offensichtlich nicht an die Regeln halten. Denn das ist den Rechtspopulisten immer noch ein Anliegen: Den Staat stutzen, damit man die eigenen Interessen und die von ein paar superreichen Kumpeln verfolgen kann, so wie dies Orban, Erdogan, Trump und andere schon zeigen, die ihre Buddys in verantwortungsvolle Positionen bringen und ihnen das Geld zuschieben.

Den Rechtspopulisten geht es nicht um das Wohl des Volkes, ihnen geht es nur um das eigene Wohl. Deswegen demontieren sie demokratische Strukturen, die sie daran hindern könnten. Strache hat auf Ibiza, als er sich unbeobachtet fühlte, die Maske fallen lassen.

Doch viele Österreicher wählten ihn dennoch ins EU-Parlament. Es sieht so aus, als bräuchten die Rechten keine Maske mehr tragen, sondern könnten, ihr persönliches „Mein Kampf“ in der Hand haltend, ohne Lug und Trug die Wahlen gewinnen. Das lässt nichts Gutes für die Zukunft ahnen.
P.H.



Freitag, 17. Mai 2019
Das bürokratische Monster
Es lauert wieder, das bürokratische Monster. Es wartet darauf, den armen, einfachen Bürger zu fangen und in seinen Windmühlen aus Sinnlosigkeit gefangen zu nehmen, damit er leidet. Denn einen anderen Sinn als den, überflüssige Arbeit zu schaffen und die Freiheit einzuschränken, hat ein bürokratisches Monster nicht, wie uns die tapferen Kämpfer gegen das Monster erklären.

Die Jäger des bürokratischen Monsters haben sich vor allem in der FDP zusammengeschlossen, doch man kann sie auch woanders finden. Und gerade in letzter Zeit haben die wackeren Jäger des bürokratischen Monsters wieder zwei Exemplare ausfindig machen können.

So hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Arbeitgeber die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter erfassen müssen. Denn nur so sei sicher gestellt, dass die Regeln zum Schutz der Arbeitnehmer nicht verletzt würden, dass die Pausen nicht zu kurz und die Arbeitszeiten nicht zu lang sind. Und da schrien sie wieder, die Jäger des bürokratischen Monsters. Wie soll dieser Aufwand zu leisten sein? Bei den Paketzustellern möchte die SPD für mehr Gerechtigkeit sorgen. Die großen Konzerne geben die Arbeit an Subunternehmer weiter, die jedoch ihre Mitarbeiter oft nicht fair entlohnen. Die großen Konzerne weisen jede Verantwortung von sich – freuen sich aber, dass die Subunternehmer so billig sein können. Die SPD möchte die großen Konzerne nun verantwortlich machen für die Entlohnung durch die Subunternehmer. Und wieder entdecken die Jäger des bürokratischen Monsters ein neues Exemplar dieser fiesen Gattung.

Wie können die Jäger die Monster so schnell aufspüren? Nun, sie kennen das Geheimnis ihrer Vermehrung: Wann immer der Staat die Rechte der Schwachen stärken und die Macht der Starken schwächen möchte, entsteht ein bürokratisches Monster. Und das muss man bekämpfen. Wo käme man schließlich hin, wenn tatsächlich alle Menschen vor dem Gesetz gleich wären?
P.H.



Samstag, 4. Mai 2019
Das Gesetz bin ich
In der Nacht vom 15. auf den 16. April 2019 brannte der Dachstuhl von Notre-Dame in Paris komplett aus. Das Wahrzeichen der Stadt, des ganzen Landes gar, ist nur noch eine Ruine. Der Wiederaufbau wird Jahre dauern und sehr viel Geld kosten. Doch um Geld muss man sich keine Sorgen machen: Kaum war das Feuer gelöscht, da hatten Frankreichs Milliardäre schon hunderte Millionen zugesagt, um Notre-Dame wiederaufzubauen.

Diese Spendenbereitschaft stieß jedoch nicht nur auf Zuspruch: Kritiker wiesen darauf hin, dass diese Milliardäre einen Großteil ihres Vermögens durch Steuervermeidungstricks angehäuft haben. Während die Ärmsten des Landes deswegen nicht genug zum Überleben haben und der Staat sich verschulden muss, spielen die Milliardäre nun die großzügigen und selbstlosen Spender.

Doch so ist das Selbstverständnis vieler Eliten: Sie verstehen sich nicht als Teil der Gesellschaft, zu der gegenüber sie Rechte aber auch Pflichten haben, sondern sie verstehen sich als etwas Besseres; für sie haben eigene Regeln zu gelten. Während alle Steuern zahlen sollen, empfinden sie es als Raubzug des Staates, wenn sie Steuern zahlen sollen. Deswegen ist ihnen auch kein Trick zu gewagt, um Steuern zu vermeiden.

Die Eliten, die Leistungsträger, wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie sie zu leben haben, sie wollen nach ihren eigenen Regeln leben. Und Solidarität mit anderen zeigen sie nur, wenn sie es für angebracht halten. Alle Menschen mögen vor dem Gesetz gleich sein, doch sie sind gleicher und können ihre eigenen Regeln machen.

Und der Staat wehrt sich nicht. Gerade konservative Parteien – in Deutschland die FDP, die Union und auch die AfD – tun alles, um den Eliten noch mehr Geld zu geben. Schlägt man vor, den Ärmsten eine Mindestrente auszuzahlen, dann fordern sie eine Bedürftigkeitsprüfung. Doch den Solidarzuschlag für Reiche wollen sie auch ohne Bedürftigkeitsprüfung aufgeben.

Der britische Monarch Charles I. wurde von den Adeligen angeklagt, weil er sich nicht an die Gesetze hielt. Der Richter sah dies anders: Da der König das Gesetz sei, sei es doch unsinnig zu behaupten, er halte sich nicht an die Gesetze.

Dieses Urteil löste dann den britischen Bürgerkrieg aus und führte 1649 zur zeitweisen Abschaffung der Monarchie in England. Aber aus der Geschichte lernen wir ja nichts.
K.M.



Freitag, 19. April 2019
Die Kirche kann nicht irren
Diese Woche begeht die Kirche die Auferstehung Christi, wir haben die Osterwoche. Die Kirche kann sich, eingedenk der Leiden Jesu, als moralische Instanz darstellen, der das Leiden der Welt wirklich wichtig ist. Wahrscheinlich auch deshalb, weil sie es zumeist mitverursacht hat. Und damit müssen wir noch nicht einmal an die Inquisition und Religionskriege denken.

Seit Jahren vergeht mittlerweile kaum noch eine Woche, in der nicht irgendwelche kirchliche Würdenträger wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt werden oder neue Skandale publik werden. Doch wer trägt daran schuld? Ist es die Kirche, die sich mit göttlicher Macht brüstet, so dass sich ihre Vertreter alles herausnehmen können, auch den Missbrauch von Minderjährigen? Ist es die Kirche, die diese Untaten vertuschte, und die verantwortlichen Priester einfach nur versetzte, damit sie dann an einem anderen Ort ihre Untaten fortführen konnten, anstatt diese anzuzeigen und hinter Gittern zu bringen? Nein, der frühere Papst Benedikt XVI. hat die wahren Schuldigen ausfindig gemacht: Die 68er mit ihrer lockeren Sexualmoral und ihrem gottlosen Verhalten.

Wieso die oftmals ungläubigen 68er moralische Verfehlungen in der Kirche verursacht haben sollen, wir aus dem Pamphlet des Ex-Papstes nicht klar. Das ist aber auch nicht wichtig. Wichtig ist: Die Kirche hat keine Schuld. Sie kann auch keine Schuld haben, denn sie vertritt Gott auf Erden, sie kann deshalb nicht irren, sie kann deshalb nicht fehlen. Schuld müssen immer andere haben. Die Kirche sitzt per definitionem auf dem hohen Ross der Moralität, gibt es Verfehlungen, dann muss die Schuld bei anderen liegen. Das Weltbild der Kirche ist ebenso geschlossen wie widerspruchsfrei.

Man mag es für arrogant und weltfremd halten, doch das interessiert die Kirche nicht. Sie ist Gottes Vertretung auf Erden, sie ist auf Erden de facto Gott. Und als solcher kann sie keine Fehler begehen. Wer im Besitz der alleinigen Wahrheit ist, der muss natürlich auch intolerant gegenüber anderen sein; denn wäre er es nicht, würde er eingestehen, dass die anderen auch Recht haben könnten, dann würde er seinen eigenen Glauben, seine eigene Unfehlbarkeit und Allmacht verraten. Und weil Benedikt XVI. nicht nur ein strenggläubiger Katholik ist, sondern auch weiß, was er als Gott auf Erden zu tun hat, kann er die Schuld nicht in den Reihen der Kirche suchen, er muss sie bei anderen suchen.

Denn Gott kann nicht fehlen.
J.E.



Sonntag, 7. April 2019
Macht Euch Eure Zukunft doch selber…
…wir haben keine mehr. Das scheint das Motto zu sein, nach dem wir gerade agieren. Natürlich geben wir das nicht zu. Wir lieben doch unsere Kinder und würden alles für sie tun. Es darf halt nur nicht in Anstrengungen für uns ausarten.

So wissen wir, dass die Erde sich aufheizt. Wir wissen, dass es daran liegt, weil wir völlig bedenkenlos die fossilen Brennstoffe verheizen. Wir wissen, dass wir unser Verhalten verändern sollten, wenn die Erde in ein paar Jahrzehnten, wenn unsere Kinder groß sind, noch so aussehen soll wie heute. Und wir begrüßen die Streiks unter dem Titel „Fridays for Future“, die die Schwedin Greta Thunberg initiiert hat, um gegen den Klimawandel zu protestieren. Doch muss das wirklich bedeuten, dass wir zum nächsten Supermarkt nicht mehr im Wagen fahren? Dass wir in den Urlaub nicht mehr fliegen? Dass wir uns ein kleines Auto kaufen statt einem stattlich SUV? Sollen wir tatsächlich verzichten? Wir haben schließlich nicht mehr lang zu leben – und das Leben würden wir doch gerne genießen, und es uns so angenehm wie möglich machen.

Wir wissen auch, dass unsere Kinder eine gute Schulbildung brauchen, wenn sie später eine gutbezahlte Arbeit haben wollen. Wir wissen, dass gerade Kinder aus ärmeren Familien unsere Hilfe brauchen. Wir wissen, dass Schulgebäude verfallen, weil sie nicht mehr instandgehalten werden. Wir wissen, dass die Lehrer kaum noch zum Unterrichten kommen, weil sie immer mehr Kinder mit immer größeren sozialen und psychischen Problemen unterrichten müssen. Wir wissen, dass wir in das Schulsystem dringend investieren müssten – und wir schenken den Kindern Tablet-Computern statt wirklicher Hilfe, weil digitale Technik geil klingt. Und Hilfe muss vor allem gut klingen – und nicht unbedingt helfen. Und endlich gilt: Wirklich wichtig ist, dass unsere Rente stimmt und dass die Pflege bezahlbar ist. Wir haben schließlich nicht mehr lang zu leben – und das Leben würden wir doch gerne genießen, und es uns so angenehm wie möglich machen.

Die Kinder haben ja noch so viel Zeit, ihre Zukunft zu gestalten – oder sie genauso zu zerstören, wie wir das gerade tun.
K.M.