Samstag, 4. Juli 2020
Independence Day
Heute, am 4. Juli, feiern die USA ihren Unabhängigkeitstag, die Unabhängigkeit von der britischen Krone. Aber wer genau feiert da? Die weißen Siedler aus Europa, die die Ureinwohner der USA unterworfen haben, feiern ihre Unabhängigkeit vom Joch der Briten. Die Ureinwohner wurden nicht unabhängig vom Joch der Siedler. Sie haben nichts zu feiern.

Auch die Schwarzen Bewohner der USA haben nichts zu feiern. Sie waren vor der Unabhängigkeit Sklaven – und sie blieben auch nach der Unabhängigkeit Sklaven. Es sollte noch knapp ein Jahrhundert dauern, bis sie formell frei waren und noch einmal ein Jahrhundert, bis sie formell die gleichen Rechte hatten wie die weißen Siedler. Tatsächlich gleichberechtigt sind sie bis heute nicht.

Aber wir sollten vorsichtig sein, wenn wir mit dem Finger auf den Rassismus in den USA zeigen. Die Weißen dort haben sich nicht wirklich mit Ruhm bekleckert. Doch diese Weißen, das sind wir, die Europäer. Wir haben die Idee der Überlegenheit der christlichen Kultur und der weißen, „arischen“ Rasse in die Welt getragen und andere – Juden, Moslems, Schwarze, Eingeborene – als Untermenschen betrachtet – und betrachten sie auch heute oft noch so.

Dabei ist der Hass auf andere dort am größten, wo man kaum mit den Anderen in Kontakt tritt. Wenn man die Anderen erst einmal kennenlernt, dann fällt einem auf: Guck, es sind Menschen. Und damit sind sie gar nicht so verschieden von uns. Was natürlich auch bedeutet, dass es bei den Anderen ausgesprochene Rindviecher geben kann.

Unabhängig werden die USA, werden wir alle erst sein, wenn wir verstehen, dass es nur Menschen gibt – unabhängig von der Hautfarbe und dem Aussehen.
P.H.



Samstag, 13. Juni 2020
Keiner von uns
Der Rassismus hat wieder sein hässliches Gesicht gezeigt. In aller Seelenruhe drückte ein Polizist einem Schwarzen in den USA über acht Minuten die Luft ab, bis er schließlich starb. George Floyd wurde damit zu einem neuen Symbol des Rassismus in den USA. Schlimmer noch: Der Staat zeigte sich recht nachsichtig. Erst wurde keiner der vier beteiligten Polizisten angeklagt, dann zumindest der Haupttäter, und schließlich alle vier. Denn auch unterlassene Hilfeleistung ist ein Verbrechen. Selbst für Weiße.

Der Rassismus in den USA ist ein Teil der Gründungsgeschichte der USA, die als Gesellschaft von Sklavenhaltern begonnen hat. Nach dem Bürgerkrieg wurde die Sklaverei beendet, und es gab sogar Entschädigungen – für die Sklavenhalter, die ihre preisgünstigen Arbeitskräfte verloren hatten, nicht für die Sklaven, die wie Tiere gehalten worden waren.

Eine Aufarbeitung dieser Zeit hat nicht stattgefunden. Erinnerungsstätten wie die Nazi-Erinnerungsstätten in Deutschland, wo Verbrechen als Verbrechen dargestellt werden, gibt es in den USA nicht. Sklaverei war nur eine Episode, kein Verbrechen.

Aber wir sollten auch in Deutschland nicht mit Steinen schmeißen; wir sitzen selber im Glashaus. Hat man einen fremdländisch klingenden Namen, dann bekommt man schlechter einen Job, man hat es schwieriger, eine Wohnung zu bekommen, und man wird bei dunklerer Hautfarbe öfter von der Polizei angehalten.

Schließlich ist er keiner von uns.

Und wir scheinen auch nicht zu wollen, dass er eine von uns wird. Der Hass soll weiterleben. Wir sind schließlich Christen.
J.E.



Samstag, 30. Mai 2020
Freiheit oder Anarchie
Wir Menschen lieben unsere Freiheit, besonders wir Menschen, die wir mit den westlichen Werten aufgewachsen sind. Wir wollen sagen und tun können, was wir wollen, und wenn man versucht, diese Freiheiten einzuschränken, dann begehren wir zu Recht dagegen auf. Unsere Freiheit soll grenzenlos sein.

Aber kann Freiheit grenzenlos sein?

Kann ich tun, was ich will – egal welche Auswirkungen dies auf andere hat? Natürlich nicht. Meine Freiheit hört dort auf, wo die Freiheit eines anderen anfängt. Grenzenlose Freiheit wäre Anarchie. Freiheit braucht, so paradox es klingen mag, Grenzen.

Gerade politisch rechts stehende Menschen beschweren sich, dass es in unserem Land keine Meinungsfreiheit mehr geben würde. Sie könnte nicht mehr sagen, was sie wollten. Prominentestes Beispiel ist der US-Präsident Donald Trump. Nachdem er schon jahrelang Lügen über Twitter verbreitete, hat Twitter bei einer diese Woche veröffentlichten Lüge über Briefwahlen in Kalifornien einen Faktencheck angehängt, der Trumps Behauptung der Lüge entlarvt. Sofort beschwerte er sich über die „Zensur“; seine Meinungsfreiheit werde unterdrückt.

Wohlgemerkt: Twitter wies nur darauf hin, dass die Behauptung nicht stimmte. Twitter löschte sie nicht. Doch auch andere Republikaner und Rechte unterstützten Trump und wetterten gegen die Zensur. Die Meinungsfreiheit werde von Twitter beschädigt.

Wieso? Trump kann doch sagen, was er will. Die Meinungsfreiheit wird nicht beschädigt. Aber nun weist Twitter darauf hin, dass seine Meinungen lügen sind – so wie auch andere, die sich über das Ende der Meinungsfreiheit beschweren, immer noch sagen dürfen, was sie wollen, aber damit rechnen müssen, dass man sie darauf hinweist, dass sie Unsinn reden.

Aber das wollen sie nicht. Die Rechten wollen unwidersprochen ihre Lügen verbreiten. Sie wollen keine Meinungsfreiheit, sie wollen Meinungsanarchie.

Aber die darf es in einem Rechtsstaat nicht geben.
P.H.



Sonntag, 10. Mai 2020
Ein Paradies für Verschwörer
In Zeiten der Corona-Pandemie ist das eingetreten, was sich viele Verschwörungstheoretiker gewünscht haben: Die Grenzen sind dicht und der Austausch der eigenen Bevölkerung wird verhindert, weil niemand mehr ins Land darf. Eine Krankheit darf sich ungestört ausbreiten, weil es keinen Impfstoff dagegen gibt – was sich Impfgegner schon seit Jahren wünschen.

Und was ist das Resultat? Chaos. Die Wirtschaft bricht ein, weil die Nachfrage wegbricht. Und das nicht nur, weil der Staat einen Lockdown durchgesetzt hat. Schon vorher gingen weniger Menschen zu Frisör, Arzt oder in die Geschäfte, weil sie Angst hatten, sich anzustecken. Und jetzt gehen wenige raus – immer noch aus Angst. In Deutschland und den USA müssen Schlachthöhe schließen, weil sich zu viele Mitarbeiter angesteckt haben. In den USA führt dies schon zu Fleischmangel in den Supermärkten.

Doch anstatt sich zu freuen, dass die Welt nun so ist, wie die Verschwörungstheoretiker es gerne hätten, sind diese frustriert – und greifen Journalisten an. Es ist aber auch frustrierend, wenn man einsehen muss, dass ausgerechnet die Lügenpresse recht hatte.

Und wie geht es den Helden der Verschwörungstheoretikern, denen, die sich für das Volk und gegen das Establishment einsetzen wollten? Die USA, Großbritannien, Brasilien und Russland stehen der Pandemie hilflos gegenüber. Wenn die Wachstumsraten so weitergehen, werden diese vier Länder in wenigen Tagen die Länder mit den meisten Opfern sein – obwohl sie erst recht spät von der Pandemie betroffen waren und Zeit gehabt hätten, sich zu wappnen. Aber dummes Zeugs zu reden führt halt selten dazu, dass man auch etwas Sinnvolles macht. Das Volk war diesen Volkstribunen herzlich egal.

Das Paradies der Verschwörer entpuppt sich schnell als Hölle für die Menschen.
J.E.



Samstag, 18. April 2020
Unangemessen
An Ostern, so glauben die Christen, ist Jesus wiederauferstanden, nachdem er für die Sünden der Menschen gestorben ist. Nun kann eine neue Zeit beginnen, eine Zeit des Miteinanders und der Menschlichkeit. Eine Tradition, auf die das christliche Deutschland so stolz ist.

Auf den griechischen Inseln leben tausende Flüchtlinge unter unwürdigen Umständen. Deutschland wollte gut eintausend Kinder aus dem Elend befreien und nach Deutschland holen. Doch dann kam die Corona-Krise, und heute feiert man es als Zeichen der Menschlichkeit, wenn man schon fünfzig Kinder nach Deutschland holt. Fünfzig, in ein Land von über 80 Millionen Menschen.

Und selbst diese beschämende Tat, die einem Christen die Schamesröte ins Gesicht treiben sollte, bleibt nicht unwidersprochen. Für den Innenminister von Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht, ist das schon zu viel. „Derzeit absolut unangemessen“ und „deplatziert“ sei diese Aktion und dann auch noch die Forderung, weitere Kinder nach Deutschland zu holen, um ihnen ein menschliches Leben zu ermöglichen. Natürlich sei der Grund dafür nicht rassistisch oder menschenfeindlich, im Gegenteil: In Zeiten von Corona sei das Risiko zu groß, dass mit den Kindern das Virus ins Land kommt – auch wenn man sie unter Quarantäne stellt.

Dass zeitgleich tausende Erntehelfer aus Rumänien nach Deutschland kommen, ist dagegen kein gesundheitliches Risiko. Die gehen dann ja auch wieder nach Hause…

Jesus Christus starb für die Sünden der Menschen. Es sieht ganz so aus, als wäre sein Tod sinnlos gewesen.
J.E.



Samstag, 4. April 2020
Das Primat der Ökonomie
Wer kann sich noch an den Beginn der 2000er erinnern? Damals war Deutschland der kranke Mann Europas, was Schröder bewog, seine unsägliche, neo-liberale Agenda 2010 anzukündigen, weil er auf Ökonomen hörte, die ihm sagten, dass die Wirtschaft dann am stärksten wächst, wenn die Steuern niedrig sind und die Arbeitnehmerrechte gering. So wie auch in den 1950er und 1960er Jahren, als der Spitzensteuersatz viel höher lag und die Arbeitnehmer als gleichberechtigte Partner angesehen wurden. Ne, das ist ein schlechtes Beispiel. Genau genommen gibt es kein Beispiel, dass steigende Ungleichheit mit einer wachsenden Wirtschaft verbindet, so wie es die Agenda 2010 realisieren wollte. Das Gegenteil ist richtig: Denn die Arbeitnehmer sind die Konsumenten. Geht es ihnen schlecht, dann kann eine Wirtschaft nicht stabil florieren.

Aber der Hauptpunkt der Kritik an Deutschland damals war, dass Deutschland noch ein überholtes Wirtschaftsmodell fuhr: Man produzierte im eigenen Land! Andere, fortschrittliche Länder wie die USA und Großbritannien hatten die Produktion schon überwiegend ins Ausland verlegt und konzentrierten sich auf die margenstarke Finanzwirtschaft. Deutschland hinkte dem hinterher. Die Trägheit der deutschen Wirtschaft, die die Arbeitnehmer in die Entscheidungen einbinden wollte, war unfassbar groß.

Dann kam die Krise 2008 – und Deutschland überstand sie halbwegs unbeschadet, weil das Land nicht so stark von der Finanzwirtschaft anhing. Derivate konnte man nicht essen, wie man damals feststellte. Und nun haben wir die Corona-Krise – und wären froh, wenn wir noch mehr im Land produzieren würden.

Aber die Ökonomen wussten es ja besser. Sie haben uns ja auch geraten, die Krankenhausbetten abzubauen, damit die Krankenhäuser effizienter sind. Deutschland war auch hier wieder etwas langsam, weil es immer noch starke Kräfte gibt, die sich jedem Fortschritt in den Weg stellen – und profitiert derzeit davon. Hohe Effizienz würde heute Knappheit bedeuten. Länder wie Italien, Spanien und die USA waren da deutlich effizienter. Und irgendwie scheinen sie es nun zu bedauern.

Was lernen wir daraus? Am besten macht man genau das Gegenteil von dem, was einem die Ökonomen empfehlen.

Oder anders: Es würde den Ökonomen nicht schlecht zu Gesicht stehen, sich auch einmal mit der Realität zu befassen.
P.H.



Samstag, 21. März 2020
Zu abstrakt
Nun gibt es Ausgangsbeschränkungen in Bayern und dem Saarland. Die meisten Geschäfte und Restaurants sind geschlossen, Museen, Schwimmbäder und Schulen ohnehin, und auch Reisen darf man nicht mehr. All das, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen.

Diese Maßnahmen sind sicher richtig. Hier soll keine Kritik an ihnen geübt werden. Doch es verwundert: Sicherlich sind am Corona-Virus schon tausende Menschen gestorben, und es werden wahrscheinlich noch mehr sterben, so wenig man sich das auch wünschen mag. Doch zugleich gibt es eine Krise, an der auch Tausende sterben, unter der Millionen leiden – und das scheint nur wenige zu stören.

Der Klimawandel sorgt dafür, dass tropische Krankheiten nach Europa kommen, Unwetter, Hochwasser und Hitzewellen töten Menschen und rauben anderen die Lebensgrundlage. Millionen Menschen verlassen schon ihre Heimat – und noch mehr werden folgen – weil der Klimawandel ihre Lebensgrundlage zerstört. Und wenn jemand, wie die „Fridays for Future“-Bewegung, sich dagegen wehrt, dann wird sie belächelt, und man weist darauf hin, dass man den Menschen doch nicht zu viel zumuten darf.

Dabei fordert diese Bewegung nur, dass die Versprechen zur Eindämmung des Klimawandels (nicht, um ihn aufzuhalten, dafür ist es zu spät) endlich eingehalten werden. Die dafür erforderlichen Maßnahmen sind viel harmloser als alles, was wir heute wegen des Corona-Virus bereit sind zu tun. Doch diese einfachen Maßnahmen, obwohl ebenso nötig, würden uns schon überfordern. Das verstehe, wer will.

Aber vielleicht liegt dies nur daran, weil wir die Folgen des Klimawandels nicht so direkt spüren. Sie sind uns zu abstrakt, da zu langfristig und zu indirekt. Und wirklich rational ist der Mensch ja nicht.
K.M.



Wer wirklich wichtig ist
Nun, wo Bayern und das Saarland die ersten Ausgangsbeschränkungen verhängt haben, wird deutlich, wer in dieser Gesellschaft wirklich wichtig ist, damit sie nicht zusammenbricht. Es sind die Mitarbeiter der Lebensmittelgeschäfte, es sind die Ärzte und Pfleger, es sind die Mitarbeiter des öffentlichen Nahverkehrs und die Boten, die uns Pakete bringen – und natürlich auch die Frauen, die vor allen in diesen Berufen arbeiten.

Aber was auch auffällt: Diese Berufsgruppen sind vor allem die Berufsgruppen, die am wenigsten verdienen (mit Ausnahme der Ärzte). Richtig gut verdienen Top-Manager, Berater und Investmentbanker. Aber fällt es auf, wenn die mal nicht arbeiten? Top-Manager fordern vor allem ihre Mitarbeiter auf, unternehmerisch tätig zu werden, da sie selber kaum Ideen haben. Noch nie haben so viele Berater die Unternehmen aufgesucht – und noch nie waren diese so richtungslos. Und Investment-Banker vernichten unter dem Strich mehr Geld, als sie durch ihre Arbeit erschaffen. All diese Bullshit Jobs halten sich für unheimlich wichtig – dabei sind sie zumeist völlig überflüssig.

Dennoch schaffen sie es, das große Geld abzusahnen, während man die wirklich wichtige Arbeit für so unwichtig hält, dass man den Männern und Frauen, die sie ausüben, kaum den Mindestlohn zahlen will.

Aber vielleicht wissen die Bullshit Jobber auch, wie unwichtig ihre Arbeit eigentlich ist. Und deswegen versuchen sie, noch so viel Geld mitzunehmen, wie sie tragen können, bevor die Gesellschaft herausfinden, dass man sie nicht braucht.
J.E.



Samstag, 7. März 2020
Demut
Der Mensch ist der Herrscher der Welt. „Macht euch die Erde Untertan“, heißt es in der Bibel. Kein Lebewesen der Erdgeschichte hat die Welt so geprägt wie der Mensch. Schon denkt man darüber nach, dem Zeitalter des Menschen einen Namen zu geben, Anthropozän, obwohl man bisher Zeitalter nach geologischen Ereignissen benannte. Doch der Mensch ist eine ganz besondere Kraft.

Dann aber auch nicht. Ein kleines Virus, so klein, dass man es mit dem bloßen Auge nicht sehen kann, versetzt die Menschheit in Angst und Schrecken. Covid-19, eine von einem Virus aus der Gattung der Coronaviren erzeugte Krankheit, hält die Welt in Atem. In Deutschland gab es am Morgen des 07.03.2020 genau 684 Infizierte, weltweit waren es über 100.000. Gemessen an der Gesamtzahl der Deutschen und aller Menschen eine geringe Zahl. Doch sie steigt, und sie steigt rapide. Zudem sterben etwa zwei Prozent der Infizierten – mehr als zehnmal so viele wie bei einer normal verlaufenden Grippewelle.

Und der Mensch, der Herrscher der Welt, der darüber entscheidet, welche Landschaften, Tiere und Pflanzen überleben, der darüber entscheidet, wie sich das Klima der Erde wandelt – was macht der allmächtige Mensch?

Er flüchtet.

Die Straßen in den betroffenen Orten sind menschenleer. Es kommt selbst in nicht direkt betroffenen Orten zu Hamsterkäufen. Gab es im entfernten Bekanntenkreis einen Infizierten, dann wird man oftmals von der Firma gebeten, zu Hause zu bleiben.

Der Mensch muss erkennen, dass er nicht der Herrscher der Welt ist. Vielleicht sollte er auch die Erde nicht so behandeln, als diene sie nur seinen Interessen.

Aber sollte der Mensch tatsächlich diese Lektion aus dieser Krise lernen – dann wird er sie vergessen, sobald die Krise vorbei ist.
K.M.



Freitag, 21. Februar 2020
Wahnsinn
Und nun Hanau. Ein rechtes Terrornetzwerk ist für die Gesetzeshüter immer noch nicht zu erkennen, doch am Abend des 19.02.2020 erschoss ein Täter in Hanau mindestens elf Menschen – mit ausländischem Hintergrund. Nach dem Attentat auf die Synagoge in Halle. Nach dem Mord an Walter Lübcke. Nach den Taten des NSU.

All diesen Tätern ist gemeinsam, dass sie ein sehr verqueres Weltbild haben. Sie glauben geheime Mächte an der Macht, die die Menschen kontrollieren wollen. Sie glauben an die Überlegenheit der weißen Rasse. Sie vertreten überzeugt zahllose Verschwörungstheorien, die eine unglaubwürdiger als die andere ist.

Jörg Meuthen von der AfD hat deshalb getwittert: „Das ist die wahnhafte Tat eines Irren.“ Recht hat er. Er fügte jedoch hinzu, dass es kein rechter Terror war. Da irrt er.

Die Ideen, denen dieser wie all die anderen Attentäter anhingen, gehören zum Grundkonzept der Rechtsextremen. Sie sind das Weltbild, dass sie sich von der Welt gemacht haben, in der sie zu leben glauben. Es ist dieses irre Weltbild, von Wahnvorstellungen geprägte Weltbild, das sie zu ihren Taten animiert.

Aber es ist schön zu sehen, dass selbst ein Hauptvertreter der neuen Rechten die eigenen Ideologen und die daraus folgenden Taten für Wahnsinn hält.
J.E.



Sonntag, 9. Februar 2020
Was ist schlimmer?
In Thüringen herrscht seit Monaten ein Patt. Die Linken haben keine eigene Mehrheit, und die bürgerlichen Parteien wollten ihr diese auch nicht verschaffen. Die Rechtsextremen haben keine eigene Mehrheit – und die bürgerlichen Parteien wollen mit denen natürlich auch nichts zu tun haben. Als aber die Rechtsextremen die Bürgerlichen unterstützten, da war es erst einmal okay.

Man muss eben auf die Feinheiten achten. Die Frage, die sich die bürgerlichen Parteien zu stellen hatten, war, welche politische Richtung ist schlimmer: Die ganz linke oder die ganz rechte?

Nun, was man von einer ganz rechten Regierung zu erwarten hat, kennt man aus der deutschen Geschichte: Terror und Menschenhass.

Was man von einer ganz linken Regierung zu erwarten hat, kennt man ebenfalls aus der deutschen Geschichte: Terror und Menschenhass.

Da tun sich die beiden nicht viel. Doch man erkennt heute Tendenzen: Die ganz linken Gruppierungen werden demokratischer, die ganze rechten werden extremer. Gewalt aus ihren Reihen nimmt immer weiter zu. Also was ist schlimmer?

Ne, so kann man das auch nicht beurteilen. Lieber schaut man in die Vergangenheit, zu Zeiten der industriellen Revolution. Dort wurde der Diebstahl eines Brotes (da man den Reichen nahm) ungleich härter bestraft als Körperverletzung (solange sie keinen Reichen betraf). Und an diesem Maßstab scheinen sich die bürgerlichen Parteien immer noch zu orientieren.

Linke, die den Reichen an den Reichtum wollen, sind also immer schlimmer als alle anderen, solange diese nicht den Reichen ans Leder wollen.
J.E.