Rechtsfreier Raum
Manchmal wundert man sich, worauf man als Deutscher alles stolz sein soll. Doch worauf man stolz sein kann - und worüber man sich auch freuen kann - ist die Tatsache, dass man in Deutschland in einer Demokratie lebt, einer Staatsform, in dem das Volk (oder seine Vertreter) Gesetze machen, die dann für alle gelten. Wir leben nicht in einer Diktatur, wo eine kleine Clique von Mächtigen sich eigene Regeln macht.

Nun ja, wenn man hört, welchen Einfluss Lobbygruppen in Deutschland auf das Gesetzgebungsverfahren nehmen, dann kann man sich manchmal schon fragen, ob wir in Deutschland wirklich in einer Demokratie leben. Sollte es dennoch wackere Deutsche geben, die an dieser Behauptung festhalten, so wurden sie nun vom Bundesverfassungsgericht bitter enttäuscht.

Seit geraumer Zeit tun wir uns in der Demokratie mit den Kirchen schwer, diesen eigenartigen Organisationen, die vom Geistigen reden und auf das Körperliche schielen. Seit es Kirchen gibt, geht es darum, welche Macht sie in der realen Welt haben sollen, oder ob sie sich auf allein die geistige Welt beschränken sollen. Jesus hat sich klar dazu geäußert: So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist, hat er gesagt. Doch so ganz ohne weltliche Macht wollten die Mächtigen der Kirche nicht sein.

Das bekannteste Beispiel, wo dieser Streit zwischen Kirche und Staat eskalierte, war der Streit zwischen König Heinrich IV. und Papst Gregor VII. Dieser endete im Jahreswechsel 1076/1077 mit dem Gang nach Canossa, wo sich der König dem Papst unterwarf. Die Kirche hatte gezeigt, wer die wirkliche Macht im Staate hat.

Und selbst heute ist es noch so, dass die Kirche ihre eigenen Regeln machen kann, und der Staat tut nichts dagegen, mit höchstrichterlichen Segen. So hat ein katholisches Krankenhaus einem Arzt gekündigt, weil der nach einer Scheidung noch einmal geheiratet hat. Das widerspricht zwar nicht den weltlichen Gesetzen, aber den Gesetzen der katholischen Kirche. In unteren Instanzen hatte der Arzt noch Recht bekommen, und wir hatten Vertrauen in den Rechtstaat. Doch das Bundesverfassungsgericht hat nun entscheiden, dass Gerichte das "kirchliche Selbstverständnis" nur eingeschränkt überprüfen dürfen.

Die Kirche ist in Deutschland ein rechtsfreier Raum. Widersprechen ihre Regeln den staatlichen Gesetzen, dann haben sie trotzdem Geltung. Das Bundesverfassungsgericht ging erneut nach Canossa.

Was bedeutet dies nun in der Praxis? Wenn Sie Kinder schlagen wollen, Ihre Ehefrau rechtlos halten und sonst ihre eigenen Regeln machen wollen, dann gründen Sie am besten eine Kirche.

Aber nennen Sie diese dann bloß nicht islamisch. Geben Sie ihr lieber einen christlichen Namen. Das erweckt dann zumindest den Eindruck, als seien Sie auf der Seite der Guten - auch wenn nur die Verpackung anders, der Inhalt jedoch gleich ist.
P.H.