Die neue Gerechtigkeit
Die neue Steuerschätzung erscheint wie ein Geschenk: Der Staat erwartet Mehreinnahmen in Milliardenhöhe. Und schon wieder werden Forderungen laut, was man mit all dem Geld machen könnte: Brücken und Straßen renovieren, und die immer maroder werdende Infrastruktur reparieren?

Nein, da bevorzugen viele Politiker und Journalisten doch die Steuersenkung. Jeder Bürger will doch jeden Monat mehr von seinem Geld im Geldbeutel haben. Und wenn er reich ist, dann erhält ja auch mehr als ein Armer. Was ja nur gerecht ist: Schließlich sagt schon die Bibel: Wer hat, dem wird gegeben.

Und wer will der Bibel widersprechen?

Das löst dann aber nicht das Problem, dass die Infrastruktur in Deutschland dringend erneuert werden muss. Die Straßen und Brücken sind alt, die Wasserleitungen oft ein halbes Jahrhundert alt und undicht. Mögliche Baustellen gäbe es genug. Doch fehlen die Steuereinnahmen, dann könnte man nur neue Schulden machen. Und das will man ja nicht. Wir haben in Deutschland einen neuen Götzen: Die schwarze Null.

Und damit ist mal kein Unionspolitiker gemeint.

Der Staat darf keine Schulden machen. Auf gar keinen Fall, nie und nimmer. Aber irgendwie muss er die Infrastruktur reparieren. Aber das könnte ja auch Privatunternehmen machen, in diesen ominösen Privaten-Öffentlichen-Partnerschaften, die der Bundesrechnungshof wegen ihrer hohen Kosten gerügt hat.

Doch die Kosten sind egal. Finanziert die Privatwirtschaft die Reparatur der Infrastruktur, dann laufen die Kosten zumindest nicht in öffentlichen Haushalten auf, und man muss dafür keine neuen Schulden machen. Dass die Privatwirtschaft sich dies mit fürstlichen Renditen belohnen lässt, ist dann ja nur gerecht.

Und das Geld kommt letztlich doch vom Bürger. Allerdings nicht aus den Steuern, sondern aus Abgaben, die jeder zahlen muss, der die Infrastruktur benutzen will. Das ist dann auch gerechter: So werden auch die ganz Armen, die noch nicht einmal Steuern zahlen und von Steuersenkungen nichts haben, nicht vergessen.
P.H.