Ja zum politischen Anstand
Am 22. Juli hatte die CSU einen schweren Tag. Mindestens 25.000 Demonstranten hatten sich in München unter dem Motto „#ausgehetzt“ eingefunden, um gegen Rechtspopulismus und vor allem die CSU zu demonstrieren. Die CSU hatte in den Wochen vorher eine unnachgiebige Linie gegen Flüchtlinge verfolgt, hatte Asylanten als Asyltouristen bezeichnet (als gleiche eine Flucht einem Flug zum Ballermann) und für hartes Durchgreifen an den Grenzen plädiert. Sie hatte im Streit mit der CDU sogar eine Frist gesetzt, wie ein dahergelaufener Erpresser.

Erstaunlicherweise fällt so viel Skrupellosigkeit einer christlichen Partei bei der Bevölkerung auf Unverständnis. Und die CSU regiert beleidigt. Sie ließ Plakate anbringen, auf denen sie forderte „Ja zum politischen Anstand, Nein zu ausgehetzt“, so als ließe die Demonstration gegen die heilige CSU nun jeden Anstand vermissen, obwohl die CSU schon seit Wochen bewies, dass ihr politische Anstand völlig egal ist. Wie man bei der AfD gerne sagt: Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Und die CSU lebte dies.

Sie wollte damit die Wähler zurückgewinnen, die zur AfD gelaufen waren. Doch die letzten Umfragen zeigen, dass dies nicht gelungen ist. Im Gegenteil: Wenn eine Partei, die eigentlich zu den staatstragenden gehört, nun genauso hetzt, wie die AfD dies seit Jahren tut, dann kann die AfD ja gar nicht so schlimm sein. Die CSU hat die Politik der AfD verharmlost – und die AfD damit wählbar gemacht. Politischer Anstand ist wichtig, gerade in Zeiten, wo der rechte Mob gewählte Politiker beleidigt, bedroht, beschimpft und sogar physisch angreift, und das nur, weil diese Politiker es wagen, sich menschlich zu verhalten, was für den rechten Mob eine nicht mehr vorstellbare Verhaltensweise ist. Doch die CSU hat jede Glaubwürdigkeit verspielt, sich als Bewahrerin des politischen Anstands zu präsentieren.
J.E.