Freitag, 11. Januar 2019
Es sind ja nur Ausländer
Man stelle sich mal vor, dass etwa ein Drittel aller Strafzettel für Falschparken falsch ausgestellt wurden. Man stelle sich mal vor, dass ein Drittel aller Steuerbescheide fehlerhaft wären. Würde das nicht einen Aufschrei geben?

Als der Verdacht aufkam, dass in Bremen mehr als 1000 Asylanträge fälschlicherweise positiv entschieden wurden, da war das Geschrei groß. Man dachte an all die Terroristen und Schmarotzer, die sich in unser schönes Land eingeschlichen hatten, und forderte Aufklärung. Die kam dann auch: Alle Bescheide wurden überprüft, nur gut ein Dutzend erwies sich tatsächlich als fehlerhaft. Eine Fehlerquote von etwa einem Prozent. Aber auch das war zu hoch, und man gelobte Besserung. Andererseits ist es so, dass ein Großteil der abgelehnten Asylbewerber gegen den Bescheid klagt – und gut ein Drittel bekommt vor Gericht Recht. Das BAMF lehnt ein Drittel der Asylbewerber fälschlicherweise ab, Menschen, die unseren Schutz brauchen. Doch wo bleibt der Aufschrei? Wo ist das Versprechen, in Zukunft eine bessere Arbeit zu leisten?

Lieber nicht. Die Ausländer sollen draußen bleiben. Man kann von einer christlichen Leitkultur auch nicht zu viel Menschlichkeit verlangen.
J.E.



Montag, 31. Dezember 2018
Es ändert sich nichts
Der Sündenfall der SPD hat einen Namen: Hartz IV. Die Hartz IV-Gesetze sind eine Folge der Agenda 2010, in der die SPD sich unter ihrem Kanzler Gerhard Schröder bedingungslos dem neoliberalen Dogma unterworfen hat: Wer reich ist, ist gut, wer arm ist, ist böse. Der Mensch ist nicht arm, weil die politischen oder ökonomischen Randbedingungen schlecht sind, sondern erst ist arm, weil er ein fauler Sack ist. Und denen soll man dann noch großzügig mit Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe unter die Arme greifen? Schmarotzer verdienen die Höchststrafe: Hartz IV, wo die Unterstützung auch schon mal unter die minimale Grundsicherung sinken kann.

Doch genauso, wie nicht jeder Reicher ein skrupelloser Steuerhinterzieher ist, ist nicht jeder Armer ein fauler Sack. Sonst gäbe es wohl nicht über eine Millionen Menschen, die arbeiten, obwohl sie damit noch nicht einmal die Grundsicherung verdienen – und genauso viel Geld hätten, wenn sie einfach zu Hause blieben und auf den Staat warteten.

Die SPD schien erkannt zu haben, dass die Beschimpfung des eigenen Wählerklientels nicht wirklich hilfreich ist – weder dem eigenen Wahlergebnis, noch dem sozialen Frieden im Land, der nicht steigt, wenn immer mehr Menschen von den Hartz-Gesetzen an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden. Vor einigen Wochen noch forderte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles die Abschaffung von Hartz IV. Doch nun zeigt sich, dass die SPD nichts verstanden hat. Führende Politiker dieser Partei sind immer noch dieselben neoliberalen Dummschwätzer, die sie unter Schröder waren. Der Wunsch zur Abschaffung von Hartz IV ist nur eine kosmetische Korrektur, sie ändert nichts am Wesen der SPD, die immer noch neoliberal denkt. Den Beweis lieferte Frau Nahles diese Woche, indem sie mit den Worten gegen das bedingungslose Grundeinkommen wetterte : Die SPD stehe nicht für bezahltes Nichtstun.

Denn so sind sie, die Armen: Eigentlich sind sie stinkfaul. Und das müssen wir ja nicht unterstützen; denn im Herzen sind wir immer noch neoliberal.

Dass das Grundeinkommen in Zeiten, in denen die IT-Technik immer mehr Arbeiten übernimmt, eine durchaus bedenkenswerte Lösung ist, um den sozialen Frieden zu garantieren und zu verhindern, dass immer mehr Menschen in der Kloake der Gesellschaft landen – das scheint der SPD egal zu sein. Die Partei der kleinen Leute – das war einmal.
P.H.



Samstag, 15. Dezember 2018
Das Wort des Jahres
Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat das Wort des Jahres gewählt: Es ist „Heißzeit“. Damit wird nicht nur die extreme Hitze in diesem Sommer bezeichnet, sondern es steht allgemein für den Klimawandel, den jeder seit Jahren erlebt – und den dennoch einige leugnen, wie der große Denker Donald J. Trump, der an einem kühlen Tag twitterte: Wo ist er denn, der Klimawandel?

Doch ist „Heißzeit“ wirklich eine gute Charakterisierung unserer Zeit? Beschriebe nicht ein anderes Wort unsere Gegenwart besser? Wie wäre es denn mit dem Wort „Wut“?

Wut der einfachen Menschen, die sich von den Aktivitäten der großen Konzerne und der Eliten abgehängt fühlen; die, obwohl sie ein durchschnittliches Einkommen erreichen, sich in den großen Städten keine Wohnung mehr leisten können und im Alter mit Armut rechnen müssen; die sich von der Politik verlassen fühlen, weil die Reichen immer reicher werden – und bei ihnen kaum etwas ankommt.

Wut der Narzissten und Überheblichen, die sich für etwas Besseres halten, die sich für die Herrscher der Welt halten, die Erwählten, und die dann auf einen Mainstream stoßen, der ihre Genialität und Außergewöhnlichkeit nicht erkennt, weshalb sie die Wut der einfachen Menschen ausnutzen und kanalisieren, um sich dann von dieser Welle nach oben treiben zu lassen.

Wut der Demokraten, die wissen, wie schwer es war, die Menschenrechte und eine demokratische Gesellschaft zu erkämpfen, in der die Bürger nicht einfach der Willkür der Mächtigen ausgesetzt sind, und die es nicht fassen können, mit welche Nonchalance die beiden ersten Gruppen diese Errungenschaft aufgeben wollen.

Die Gesellschaft wird gerade in weiten Teilen von Wut getrieben. Doch die war nie ein guter Ratgeber. Sie errichtet nicht, sie reißt ein. Und das kann uns noch im großen Stil blühen.
K.M.



Freitag, 23. November 2018
Auf die Schwachen!
Was droht uns da schon wieder? Nun sollen wir uns dazu verpflichten, Migranten aufzunehmen! Wir geben unsere staatliche Souveränität auf! Das zumindest, behaupten rechte Kreise, würde geschehen, wenn wir dem UN-Migrationspakt zustimmen.

Natürlich ist das Unsinn. Zum einen ist der Migrationspakt nur eine nicht bindende Absichtserklärung, und zum anderen fordert er, gegen illegale Migration und Schleuser vorzugehen, also genau das zu tun, was eigentlich auch im Sinne der Rechten sein sollte. Doch den Rechten sind Inhalt egal. Hauptsache, sie können wieder gegen die Fremden hetzen. Mehr interessiert sie nicht. Und außerdem bietet die Diskussion um den Migrationspakt eine gute Möglichkeit, von einem anderen Problem abzulenken: Den Betrug von Spekulanten am Staat. Die Spekulanten haben zahlreiche Möglichkeiten gefunden, sich Steuern erstatten zu lassen, die sie nie gezahlt haben. Eine Möglichkeit nennt sich Cum-Ex, hierbei werden Aktien um den Stichtag der Dividendenzahlung so oft hin und her verkauft, dass niemand weiß, wer sie beim Zahlen der Dividenden wirklich besaß – und so melden sich mehrere „Besitzer“, um sich die nie gezahlten Steuern erstatten zu lassen. Bei einer anderen Masche, die die Süddeutsche Zeitung gerade aufgedeckt hat, nutzt man dafür „Phantomaktien“, also Aktien, die nie wirklich existiert haben.

Bei diesen Betrügereien, die über Jahre durchgeführt wurden, geht es nicht um ein paar tausend Euro, wie im Fall einer Migrantenfamilie. Es geht um Milliarden. Wo ist hier der Aufschrei der Rechten und die Forderung, diesen Verbrechern endlich das Handwerk zu legen?

Ach nein, das widerspräche dem Erfolgskonzept der Rechten: Sich mit den Starken verbünden und auf die Schwachen einschlagen.
J.E.



Freitag, 16. November 2018
Pressefreiheit unter Beschuss
Man kennt das von Diktaturen: Wer dort eine kritische Meinung veröffentlicht, muss damit rechnen, eingesperrt zu werden – wenn man nicht gleich getötet wird. Eine andere Masche, um die Kritik zu töten, besteht darin, kritische Medien zu verbieten oder sie von Unternehmen aufkaufen zu lassen, die dem Diktator freundlich gesonnen sind, so dass die Medien in Zukunft jede Kritik unterlassen.

All das können wir in Diktaturen wie Kuba und China erleben, aber auch in scheinbar demokratischen Ländern wie Polen, Ungarn, der Türkei oder Russland. Niemand mag es, kritisiert zu werden, und wenn keine demokratischen Kräfte im Wege stehen, dann sorgt man auch dafür, dass jede Kritik unterbleibt.

Auch in eigentlich stabilen Demokratien versucht man, sich der Kritiker zu entledigen. Das mdr-Magazin Fakt hat Eden 2015 über die Gefährlichkeit des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat berichtet. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vertrat immer die Ansicht, dass Glyphosat unschädlich ist, weshalb es die Empfehlung aussprach, die Zulassung in der EU zu verlängern.

Fakt war nun an interne Dokumente des BfR gekommen, die belegten, dass das BfR Befunde, wie krebsverursachend Glyphosat ist, heruntergespielt hatte. Tatsächlich ist Glyphosat gefährlicher als vom BfR behauptet – und das BfR weiß dies. Damit sich die Zuschauer ein eigenes Bild machen konnten, veröffentlichte der mdr diese Dokumente auf seiner Internetseite.

Das BfR verklagte daraufhin den mdr wegen Urheberrechtsverletzung. Die Veröffentlichung von BfR-Dokumenten würde das Urheberrecht des BfR verletzen und sollte unterbleiben. Tatsächlich bekam das BfR vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Köln Recht, und der mdr musste die Dokumente und den Mitschnitt der Sendung von seiner Internetseite entfernen. Das Verfahren kostete das BfR knapp 80.000 Euro Steuergelder – Gelder, die ein staatliches Institut ausgab, um Beweise dafür verschwinden zu lassen, dass es die Steuerzahler belogen hatte. Der Chef des BfR sollte ohne Pensionsansprüche seinen Hut nehmen. Erschreckend ist aber, dass ausgerechnet staatliche Bedienstete eine Hintertür geöffnet haben, mit der nun die Pressefreiheit eingeschränkt werden kann. Wer aus den Dokumenten eines Whistleblowers zitiert, muss nun damit rechnen, wegen Urheberrechtsverletzung verklagt zu werden. Es soll ja schließlich niemand so genau nachsehen. Es bleibt zu hoffen, dass höhere Instanzen diesem Unsinn ein Ende setzen.
P.H.



Donnerstag, 1. November 2018
Wer Deutschland nicht liebt…
…soll Deutschland verlassen. Diesen Slogan verbreiten Rechtsextreme und Neonazis, und sie meinen damit, dass all diejenigen, die nicht gegen Ausländer sind, die das Fremde nicht hassen, Deutschland nicht lieben könnten. Die Liebe der Rechtsextremen ist eine selbstsüchtige Liebe, die nur ihren eigenen Vorteil sucht, die fordert, statt zu geben.

Doch abgesehen davon, dass die Rechtsextremen ein merkwürdiges Verständnis von Liebe haben, schauen wir uns doch mal an, wie die großen Vorbilder der Rechtsextremen nach ihren eigenen Maßstäben abschneiden würden. Nehmen wir Friedrich den Großen, den sich schon Adolf Hitler zum Vorbild nahm, und dann natürlich Adolf Hitler selber.

Friedrich der Große herrschte im 18. Jahrhundert über Preußen und machte aus dem kleinen Königreich eine europäische Großmacht. Bemerkenswert ist nur: Die Preußen kommen ursprünglich aus einer Gegend östlich von Danzig, das Herzogtum war ein Teil Polens, kurz: Die Preußen sind Slawen. Während des Wiener Kongresses, der 1815 nach dem Sieg über Napoleon eine Neuordnung Europas versuchte, wurden die Preußen auch noch als slawisches Volk geführt. Deutsch war an ihnen allenfalls die Großmannssucht.

Aber liebte Friedrich der Große wenigstens Deutschland, auch wenn Wurzeln Preußens nicht deutsch sind? Nun, zumindest die deutsche Sprache hielt er für eine schreckliche Sprache. Er selber sprach deutsch nur mit seinen Pferden, sonst parlierte er auf französisch, einer, wie er meinte, zivilisierten Sprache. Wer Deutschland nicht liebt…

Adolf Hitler sah sich in der Tradition Friedrich des Großen (auch wenn der darüber vielleicht gar nicht glücklich gewesen wäre). Mit seinen Taten brachte er Unglück über ganz Europa, weil er sich Vorteile für Deutschland erhoffte. Auf den ersten Blick scheint der damit die „Liebe“ der Rechtsextremen zu leben. Doch als Hitlers wahnwitziger Krieg sich dem Ende neigte, da zeigte Hitler, was er wirklich über die Deutschen dachte: „Die Deutschen haben es nicht verdient zu überleben.“

So sieht wahre Liebe aus.
J.E.



Samstag, 20. Oktober 2018
Wenn jeder an sich denkt…
Unser Arbeitsminister Olaf Scholz musste sich diese Woche einige Kritik anhören für seinen Vorschlag einer europäischen Arbeitslosenversicherung . Die Deutschen müssten dann für die Arbeitslosen in anderen Ländern zahlen, hieß es. Und es schwang der Unterton mit, der uns seit einiger Zeit in Europa immer beliebter werden ließ: Wir Deutschen sollen für das faule Pack in anderen Ländern blechen.

Nun, erst einmal sollte man tief Luft holen und Scholz Vorschlag einmal durchlesen, anstatt seine Kritik am Begriff „europäische Arbeitslosenversicherung“ festzumachen. Denn tatsächlich will Scholz das gar nicht. Ihm schwebt eine Rückversicherung für europäische Arbeitslosenversicherungen vor. Aber schon vier Wort sind zwei zu viel, als dass Populisten diese Informationsflut noch verarbeiten könnten.

Die Rückversicherung soll nur in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eingreifen, sie soll dann Kredite an eine nationale Arbeitsversicherung geben, damit diese ihre Leistung aufrechterhalten kann ohne die Beiträge erhöhen zu müssen, was die Wirtschaft ja noch zusätzlich belasten würde. Geht es der Wirtschaft dann wieder besser, müssen die Kredite zurückbezahlt werden. Wir Deutschen zahlen also für die „europäische Arbeitslosenversicherung“ so, wie wir für Griechenland zahlen: Wir geben Kredite und verdienen uns mit dem Zinsen dumm und dämlich. Ist das nicht eine schöne Solidarität? Nein, einigen ist selbst dies zu viel.

Dabei gilt der eiserne Grundsatz der Diplomatie: Man sollte nie eine Politik aus einer momentanen Situation der Stärke betreiben. Momentan floriert die Wirtschaft, doch Ende der 1990er Jahre, zum Ende der Ära Kohl, galt Deutschland als „kranker Mann Europas“. Und wenn US-Präsident Trump Zölle auf Autos erhebt, dann trifft das vor allem Deutschland – und wir sind dann auf die Solidarität der anderen EU-Mitglieder angewiesen.

Es könnte also nicht schaden, wenn wir uns auch ein bisschen solidarisch zeigen würden, und nicht eine Politik betreiben nach dem Motto: Wenn jeder an sich denkt, dann ist an alle gedacht.
K.M.



Samstag, 6. Oktober 2018
Hütet Euch vor den Fanatikern
Diese Woche wurde der Friedensnobelpreis an zwei Persönlichkeiten verliehen, die gegen Gewalt gegen Frauen kämpfen. Nadia Murat war vor einigen Jahren selber Gefangene des IS. Dort wurde sie versklavt, geschlagen und vergewaltigt. Dabei verstehen sich die Mitglieder des IS doch als strenggläubige Muslime, die in Namen Allahs handeln. Ist Allah also ein Sadist?

Im Mittelalter fand die Kirche nichts dabei, mit der Inquisition die Menschen zu terrorisieren. Zahllose Menschen wurden mit Erlaubnis des Papstes gefoltert (es durfte nur kein Blut fließen) und dann verbrannt. Und auch die Kirche gab vor, im Namen des Herrn zu handeln. Ist Gott also ein Sadist?

Niemand kann sagen, was ein übernatürliches Wesen wirklich denkt und will. Das ist schließlich die Definition eines übernatürlichen Wesens. Könnten wir seinen Willen erfassen, dann wäre es ja nicht übernatürlich.

Dennoch gibt es Menschen, die davon überzeugt sind, Gottes Willen genau zu kennen. Um ihn zu erfahren haben sie tief in sich hinein gehorcht – und dann wohl nur ihr eigenes Echo gehört. Leider sind diese Fanatiker, die glauben, Gottes Willen umzusetzen, viel zu oft Sadisten und Menschenfeinde; denn das Reich Gottes ist nicht das Reich des Menschen. Darum hüte man sich vor den Fanatikern, die sich bei ihrer eigenen Brutalität auf Gott berufen.
J.E.



Samstag, 22. September 2018
Dialektischer Brexit
Diese Woche war das Treffen der Staats- und Regierungschefs in Salzburg. Die Hoffnung war, dass es endlich einen Durchbruch in den Brexit-Verhandlungen geben würde. Doch tatsächlich tat sich nichts. Premierministerin May beharrte auf ihren Positionen und beklagte, dass die EU sich nicht bewege. Dabei hatte die EU schon vorher klargemacht, welche Grenzen nicht überschritten werden dürfen. Doch Großbritannien hat das nicht gestört.

Mays Kommentare klingen erst einmal beleidigt, weil die EU nicht nach ihren Regeln spielen will, obwohl seit Thatcher das als fair gilt, was den Briten zum Vorteil gereicht. Damit waren sie den USA um Jahrzehnte voraus, wo Trump erst heute tönt, dass die Welt sich fair verhalten solle – und damit zum Vorteil der USA.

Doch tatsächlich scheint May dem Irrtum erlegen, Hegels Dialektik sei mehr als nur ziemlich dummes Geschwätz. Hegels Meinung nach bildet jede These ihre Antithese aus, die zusammen in eine neue Synthese fließen. Hegel schlug vor, dass dies der Weg der Erkenntnis sei – schließlich beschäftigte er sich mit der Metaphysik, die prinzipiell nicht der Erfahrung zugänglich ist. In einem solchen Bereich können These und Antithese ruhig zugleich gelten.

Doch selbst wenn dies möglich wäre, dass eine Aussage und ihr Gegenteil zugleich „richtig“ oder „wahr“ sein könnten, dieser Weg wird nie zur endgültigen Wahrheit führen, denn die Synthese wird zur neuen These, die wieder eine Antithese generiert, um immer so weiter. Dieser Prozess der Dialektik wird nie ein Ende erreichen. Doch May hat nicht unendlich viel Zeit.

Vielleicht sollte May, nachdem sie über ein Jahr gebraucht hat, um überhaupt einen Vorschlag zu unterbreiten, endlich pragmatisch an die Lösung des Problems gehen, statt dialektische Spielchen zu treiben. Für ihren Pragmatismus waren die Briten schließlich mal berühmt.

Für Fairness, die allen zugleich zum Vorteil gereicht, jedoch auch.
P.H.



Freitag, 7. September 2018
Haben wir wirklich keine anderen Themen?
Schon wieder ein Aufreger um Flüchtlinge und die rechten Trolle. Im Chemnitz wurde ein Mann getötet. Die Rechten nutzten dies, um wieder gegen Flüchtlinge und die Regierung zu demonstrieren, denn der Tat verdächtigt sind zwei Flüchtlinge. Die Rechten umfasst Neonazis und Rechtsextreme bis zur AfD, die gut miteinander auskamen.

Aber nicht nur am ganz rechten Ende wird der Tod des Mannes für politische Zwecke missbraucht. Der Ministerpräsident Sachsen äußerte Verständnis für die Rechten, die randalierend durch Chemnitz gezogen waren. Und auch der Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU, zeigte sich verständnisvoll. Und er kannte den wahren Schuldigen für all die Unruhe: „Die Migration ist die Mutter aller Probleme.“

Das ist mal eine klare Aussage. Dass immer mehr Menschen in Altersarmut landen werden: Es liegt an den Flüchtlingen. Dass die sozialen Leistungen für die Armen beschnitten werden: Es liegt an den Flüchtlingen. Dass man die Steuern für die Reichen senkt: Es liegt an den Flüchtlingen. Dass viele Menschen in den Großstädten keine bezahlbare Wohnung mehr finden: Es liegt an den Flüchtlingen. Dass die Löhne gerade für die ärmeren Schichten im Land stagnieren oder sinken: Es liegt an den Flüchtlingen.

Nein, das liegt nicht an den Flüchtlingen. Es liegt an einer neoliberalen Politik, die in Deutschland wie in vielen anderen Industrieländern in den letzten Jahrzehnten betrieben wurde – und die gerade Parteien wie die AfD verstärkt fortsetzen wollen. Als die Flüchtlinge kamen und mit den Armen in einen Wettbewerb um die Brosamen eintraten, da wurde offensichtlich, wie groß die Probleme in diesem Land tatsächlich sind, in dem immer mehr Menschen von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt werden.

Doch sollte man daran etwas ändern? Sollte man den Reichen höhere Steuern auferlegen und die Sozialleistungen für die Armen stärken? Das will keine rechte Partei, schon kein AfD, wie sie in ihrem Parteiprogramm deutlich schreibt. Nein, die Politik soll sich nicht ändern, man sucht aber nach Sündenböcken – und die hat man nun in den Flüchtlingen gefunden.

Ihr Erscheinen ließ deutlich werden, wie groß die Schere in Deutschland nun ist. Anstatt dies zu ändern, will man lieber den Überbringer der schlechten Nachricht töten.
J.E.